Kreta im Frühjahr 2014: Sitia, Ierapetra und der ferne Osten
Von Klaus Bötig | 13.März 2014
Die ersten Ferienflieger landen erst wieder am 11. April auf Kreta. Bis dahin sind in den großen Badeorten wie Chersonissos und Malia die Fensterscheiben vieler Hotels und Tavernen mit Zeitungspapier zugeklebt, wirken ganze Straßenzüge wie tote Adern einer Geisterstadt. Aber Kreta lebt weiter: in seinen Städten und auf dem Lande.
Alexandra aus Frankfurt ist schon seit 21 Jahren in Sitia zu Hause, der östlichsten Stadt an der kretischen Ägäisküste. Sie führt da in einem reinen Wohnviertel eine kleine Pension mit nur elf Zimmern und ist so angenehm altmodisch, dass sie Zimmerbuchungen nicht übers Internet; sondern nur nach einem persönlichen Telefongespräch mit dem Gast in spe akzeptiert. Für sie putzt und streicht sie jetzt gerade das Haus, beschneidet das Orangenbäumchen auf der Gemeinschaftsterrasse, pflanzt Blumen um und ein. Zwischendurch schauen immer wieder einmal Freunde und Nachbarn herein, erzählen bei einem heißen Nes auch von ihren Sorgen. In diesem Winter bereitet ihnen das Wetter die größten Probleme. Den ganzen Januar über hat es so gut wie gar nicht geregnet, die Tagestemperaturen lagen meist zwischen 17 und 20 Grad Die Olivenernte war schon heuer katastrophal, die Trockenheit lässt fürs laufende Jahr nichts Gutes für die Bauern erwarten.
Doch jetzt im Februar sprießen erst einmal überall auf den Feldern und Brachen die Farben. Anemonen bedeuten einen Neuanfang, der Klee blüht gelb, Margariten bilden dichte Felder, winzige weiße Narzissen mit orangen Stempeln sind so schön, dass alte Bäuerinnen sie sogar ernten und auf den Märkten verkaufen. Am meisten freut sich Alexandra auf die wilden Tulpen, die im frühen April massenweise bei Ziros droben auf der Chandras-Ebene Farbtupfer setzen.
Sultaninen und Wein
Die Chandras-Ebene östlich oberhalb der Straße von Sitia an die Südküste ist eine der unbekanntesten Binnenregionen der Insel. Ausflugsbusse halten sich von dieser uralten Kulturlandschaft auf etwa 500-600 m Höhe fern, Schnee fällt hier nur ganz selten. Rebstöcke bedecken weite Flächen. Hier gedeihen überwiegend Sultana-Trauben, die später im August zum Trocknen auf Straßen und abgeernteten Feldern ausgebreitet und dann von Großhändlern aus Sitia zur Verschiffung abgeholt werden. In venezianischer Zeit war die Ebene wegen ihrer relativ guten Zugänglichkeit auch beim venezianischen Adel als Sommerfrische beliebt, wovon noch ein Adelssitz aus dem 15. Jh. im Dorf Etia und der menschenleere Weiler Voila beim Hauptort der Ebene, Chandras, zeugen. In dessen kleiner Kirche zeigt die Wandmalerei über einem mittelalterlichem Grab, wie sich Venezianer im 16. Jh. kleideten. Die Szene zeigt Maria mit dem Jesuskind. Zu ihren Füßen steht eine Familie am Sterbebett eines jungen Mädchens – wahrscheinlich ist das Grab das ihre.
Auch die Antike hat hier oben Spuren hinterlassen. An einem Hügel liegen die Ausgrabungen der antiken Stadt Praisos. Viel zu sehen gibt es nicht, die Stadt wurde schon 140 v.Chr. zerstört und für immer verlassen. Wissenschaftlich bedeutsam ist Praisos, weil die Archäologen hier Inschriften in griechischen Buchstaben fanden, die aber offensichtlich nicht-griechische Wörter widergeben. Man vermutet, dass sich hier Nachfahren der Minoer niedergelassen haben, die ihre eigene Sprache noch bis in archaische Zeit hinein pflegten. Damit hätte man zum ersten Mal einen Anhaltspunkt für den Klang der minoischen Sprache, die sonst nur in der viel älteren Linear-B-Schrift und hieroglyphen Zeichen überliefert ist.
Afrika am nächsten
Zerstört wurde das antike Praisos von den Bewohnern der Stadt Hierapytna, dem heutigen Ierapetra. Die Kleinstadt auf einer Küstenebene an der Libyschen See ist im Winter der wärmste und sonnenreichste Ort Griechenlands – und kennt dennoch keine Wintertouristen. Berühmtester Gast der Stadt war bisher Napoleon, der hier 1798 eine Nacht an Land verbrachte. Ein unscheinbarer Wegweiser führt zu einem Haus aus jener Zeit, dessen schmales Eingangsportal nur 1,75 m hoch ist. Das reichte dem kleinwüchsigen großen Franzosen jedoch, um hier samt Hut aufrecht hineingehen und in der Gästekammer eines kretischen Notars nächtigen zu können. Folgenreicher als Napoleons Besuch war der eines geschäftstüchtigen Holländers im Jahr 1966: Er brachte den Bauern der Umgebung erstmals bei, Tomaten und Frühgemüse in Gewächshäusern zu züchten, die allein von der Sonne aufgeheizt werden. Der Mann ist bei einem Verkehrsunfall an der Südküste Kretas gestorben, die Einheimischen haben ihm einen kleinen Gedenkstein gesetzt. Ein wahres Flächendenkmal sind die Plastikfolien, die in gleißender Sonne von oben gesehen die ganze Landschaft um Ierapetra wie einen großen See erscheinen lassen – und am Ende ihrer Nutzungsdauer vom Winde zersaust zwischen Gestängen auf den Feldern liegen.
Die Schönheit des Städtchens beeinträchtigt das nicht. Zwischen dem nur im Sommer geöffneten Hotelklotz >Petra Mare< und dem Hafen verläuft eine der längsten autofreien Uferpromenaden der Insel, zwischen dem Hafen und einer kleinen venezianischen Festung reiht sich direkt am schmalen Sandstrand eine urige Taverne an die nächste. Von den Mauern des Forts aus fällt der Blick gen Süden auf die Strand- und Düneninsel Chrissi, die im Sommer täglich von vielen Ausflugsschiffen angelaufen wird. Im Winter kommt man nur mit einem Taxi-Boot hinüber und kann dort seine eigene Robinsonade erleben. Landeinwärts schließt sich an die Festung die Altstadt mit ihren kleinen Häuschen an, deren Mittelpunkt eine schön restaurierte Moschee mit Reinigungsbrunnen davor bildet. Fast ebenso alt wie sie sind auch die Gemäuer der kleinen, ganzjährig geöffneten Pension >Cretan Villa<, die einmal das erste Hospital der Stadt beherbergte.
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