Was Griechenland so anderes macht (5): Das Ehrgefühl
Von Klaus Bötig | 3.Oktober 2015
Wir wandern ins westkretische Dorf Gavalochori auf der Apokoronia-Halbinsel zwischen Chania und Georgioupolis, lassen uns in einem Kafenio nieder. Draußen geht ein Mann vorbei, der mir bekannt vorkommt. Ich gehe zu ihm, frage: „Bist du Periklis?“ Er schaut mich an und erinnert sich: „Bist du Klaus?“ Ich gehe mit ihm in den Innenhof seiner alten venezianischen Villa. Er war einst Reeder in Piräus. Vor 41 Jahren habe ich zwei Sommer lang auf einem seiner Kreuzfahrtschiffe gearbeitet. Damals wusste ich nichts über ihn, er war mein Boss. Jetzt sprechen wir erstmals eine halbe Stunde miteinander. Nun weiß ich eins: Er hat sich außerhalb Kretas immer in der Fremde gefühlt. Jetzt ist er heimgekehrt.
Seine wahre Geschichte erzählt mir später Baba Jannis in Vamos. Periklis war ein Kind wohlhabender Eltern. Sein Vater wurde erschossen. Periklis war ein guter Kreter. Er versuchte, den Mörder seines Vaters zu töten. Er war kein geschickter Schütze. Dreimal traf er daneben. Kein Richter verurteilte die Fehlversuche. Periklis ging nach Athen. Er lernte, studierte, kam zu Geld, gelangte an Bankkredite, fand auch noch eine Amerikanerin, die ihn heiratete. Periklis kaufte zwei Schiffe und wurde reich. Eines Tages musste er sie wieder verkaufen, denn er hatte einen Sohn. Und dieser Sohn war kein ganzer Kreter. Wegen Drogenproblemen standen ihm viele Jahre Gefängnis bevor. Papa Periklis musste wieder für seine Familie eintreten, wie damals durch seine Fehlschüsse, aber diesmal einfach nur durch Geldzahlungen. Sein Sohn kam frei. Die Schiffe waren verloren. Periklis kehrte nach Kreta zurück ohne Familie, ohne amerikanische Frau, ohne Schiffe. Heute ist er im Dorf wieder geachtet. Nicht, weil er Schiffe hatte, sondern weil er dreimal versuchte, den Mörder seines Vaters zu töten.
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