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Anafi - einsamer geht es kaum

Von Klaus Bötig | 8.Oktober 2019

Anafi ist eine der stillsten und doch zugleich strandreichsten Inseln der Kykladen. Nur 271 Menschen sind hier gemeldet. Hochsommerliche Feriengäste sind vor allem Griechen, die unter den Tamarisken an den Stränden frei zelten.

Auf Anafi war ich vorher nur einmal im Leben: im Frühjahr 1983. Das Schiff, das uns heute von Santorin aus herüberbringt, war damals noch relativ neu: Die 1974 erbaute Autofähre Prevelis. Sie ist jetzt die einzige, die Anafi ganzjährig zuverlässig mit der Außenwelt verbindet. Wir fühlen uns fast wie beim damaligen Inselspringen: Abfahrt Santorin 3 Uhr in der Nacht, Ankunft auf Anafi 4.40 Uhr am sehr frühen Morgen.

1983 wurden wir vor Anafi noch ausgebootet, jetzt legt das Schiff an. Einen Hafen gibt es zwar immer noch nicht, aber immerhin einen Anleger - und eine kleine Marina ist seit 2019 in Bau. Maultiertreiber warten heute nicht mehr, um Passagiere und Gepäck hinauf in die Chora zu tragen. Inzwischen verbindet eine breites, kurvenreiches Asphaltband den Hafenweiler Agios Nikolaos mit der Chora. Und ein Linienbus verkehrt nicht nur zu jeder Schiffsbewegung, sondern fährt im Sommerhalbjahr auch mehrmals täglich zu den schönsten Inselstränden.

 

Fein herausgeputzt

An der Endhaltestelle in der Chora holt uns unser Vermieter ab. Wir wohnen direkt an der Platia - mit Blick auf die weite Ägäis in Richtung Kreta und  von der Rückseite der kleinen Pension mit nur vier Studios gen Santorin. An der Platia gibt es keine Cafés, wohl aber Kirche und Kriegerdenkmal.

Nach einem längeren Nickerchen machen wir uns zum Dorfrundgang auf. Verfallende alte Häuser wie noch 1983 gibt es hier kaum noch, dafür einige Neubauten und die für griechische Orte wohl obligatorische Bauruine. Die steht fast direkt unterm Kastro, der Ruine einer kleinen venezianischen Burg. Von 1207 bis 1537 gehörte Anafi ja zum römisch-katholischen Herzogtum der Kykladen. Erst gehörte sie einem Venezianer, dann Bolognesern, schließlich direkt den naxiotischen Herzögen des Crispi-Clans.

Von der Kastro-Ruine steigen wir zur Hauptgasse der Chora hinunter. Am Weg liegt ein Mini-Museum, das in einem kleinen Raum zeigt, was die Antike an recht belanglosen Zufallsfunden unter freiem Himmel hinterließ. Immerhin sichert es einen Arbeitsplatz, und beweist, dass Anafi auch schon im Altertum bewohnt war. Phönizier sollen die ersten Siedler gewesen sein.

Die Hauptgasse zieht sich mit mehreren Schlenkern der Länge nach durch die Chora. 1983 lagen an ihr zwei Kafenia, eine Bäckerei und eine Gemischtwarenhandlung. Jetzt sind es zwei Mini-Märkte, drei Modeboutiquen, ein Laden mit schön verpackten Naturprodukten der Insel, ein Bäcker, drei Cafés, sechs Tavernen und eine Töpferei. Anders als 1983 empfinde ich keine durch die Dorfgassen wehende Melancholie mehr, sondern Hoffnung: Auf eine Zukunft als Ferieninsel, die ihren verbliebenen Bewohnern auch ein gutes Überleben im Winter garantieren kann.

 

Erst ‘mal mit dem Bus…

Für den Inselbus gibt es sogar gedruckte Fahrpläne. Wir fahren zunächst einmal die beiden Routen am Stück ab: Von der Chora zum Hafen und wieder zurück, dann von der Chora oberhalb der Inselstrände entlang bis zum Kloster Zoodochos Pigis, wo das Asphaltband endet. Nur ganze 50 Minuten dauert normalerweise die  Tour. Heute ist sie zehn Minuten länger, denn Busbesitzer und -fahrer Georgios ist zugleich auch der Besitzer der einzigen Tankstelle. Normalerweise ist die täglich nur von 19-20 Uhr geöffnet, doch heute ist einem Bauern der Sprit für seinen Pick-Up schon am Vormittag ausgegangen. Da muss Georgios mal eben die Zapfsäule aufschließen und dem Mit-Insulaner helfen.

Auch an Georgios nächster fahrplanmäßiger Fahrt nehmen wir teil. Es geht wieder hinunter zum Hafen, wo ein zwar kurzer, aber breiter Feinsandstrand, der auch im Wasser nicht kieselig wird, beginnt. Naturschatten spenden Felswände und kleine Grotten. In die Felswände sind Nägel eingeschlagen: In unregelmäßigen Abständen kommt die auslaufende Brandung nämlich bis fast an die Felswände heran. Das hat wohl mit der anhaltenden vulkanischen Aktivität im Meer zwischen Anafi und Santorin zu tun.

 

… dann mit dem Mietwagen

1983 gab es auf Anafi noch kein einziges Auto. Jetzt sind sogar zwei Autovermietungen präsent. Die Asphaltstraßen der Insel sind alle zusammen nur 25 km lang. Wir fahren zunächst zum einen Straßenende in der Gemarkung Prassa. Da ist von der Straße aus nämlich die fast fertiggestellte Piste eines geplanten Flughafens zu sehen. Als waagerechter Strich in der Landschaft zieht sie sich abenteuerlich vom Aufsetzpunkt hoch über der Steilküste durch die Kargheit der Insel. Die Arbeiten wurden inzwischen wegen Geldmangels eingestellt, der von den Insulanern ersehnten  Flugverbindungen mit kleinen Maschinen zumindest nach Santorin und Athen bleiben auf unbestimmte Zeit ein Traum.

Danach fahren wir von der Chora aus durchs Inselinnere. Die Hänge sind kahl, nur an wenigen Stellen wird auf abgeernteten kleinen Getreidefeldern noch Stroh gebündelt. Grün ist jetzt nur noch in den vielen tief in den Fels eingeschnittenen Trockenbachtälern zu sehen, in denen auf Grundwasseradern reichlich Oleander blüht. Wo die Täler sich etwas weiten, stehen ein paar Olivenbäume, wird manchmal sogar Wein angepflanzt. An etlichen Hängen sind noch heute nicht mehr gepflegte Terrassen zu erkennen. Schließlich musste die Insel noch 1940 fast 800 Menschen ernähren.

 

Besuch im Kloster

Schließlich kommen wir ans andere Ende der Straße direkt unterm Kloster Zoodochos Pigi. Es wurde über den aus großen, sorgfältig behauenen Quadern der Stützmauern einer antiken Tempelterrasse erbaut. Apoll wurde hier verehrt. Pfauen stolzieren herum, zwei Wanderer kommen gerade vom Gipfel des 463 m hohen Gipfels des Kalamos herunter, der eine Gehstunde entfernt fast senkrecht aus der Ägäis aufragt. Wir begnügen uns mit einem Gespräch mit den beiden im Kloster lebenden, jungen Nonnen. Sie erklären uns auch das Fresko im Torbau des Klosters, das den hl. xxxxx zeigt. Er sitzt vor dem von ihm entdeckten Grab Alexanders des Großen und stellt verwundert fest, dass auch darin nur ein ganz normales Skelett liegt…

 

Und jetzt die Strände…

Zurück zur Chora fahren wir die Küstenstraße entlang, gehen oder fahren zu den elf meist sandigen, unter ihr liegenden Stränden. Eine Taverne gibt es nur nahe einem von ihnen, alle anderen sind absolut naturbelassen. Sonnenschirme und Liegen werden nirgends vermietet. Wo immer Tamarisken die Strände säumen, haben zumeist Griechen ihre kleinen Zelte dicht an dicht darunter gestellt. Sie leben hier ihre sommerlichen Robinsonaden - mit wenig Geld, ohne Polizeipräsenz, ohne Toiletten, oft auch ohne Badebekleidung, dafür aber mit reichlich Trinkwasserflaschen. Manche von ihnen bleiben zwei oder drei Monate lang.

… und eine Hochzeit

Als wir am späten Nachmittag in unsere Pension an der Platia zurückkommen, werden dort gerade lange Tische festlich gedeckt. Glühbirnenketten sind über die Platia gespannt, auf Pick-ups rollen massenweise Getränke an, Boxen sind aufgestellt, Musiker proben. Wir dürfen uns auf eine Hochzeit freuen. Ein Athener hat auf Anafi im letzten Sommer eine Italienerin kennengelernt und will sie - ganz romantisch - auch auf dieser Insel ehelichen. Der Inselpriester hat die Kirche an der Platia geöffnet, aber die Hochzeit findet ohne ihn statt. Das Paar lässt sich nur zivil vom stellvertretenden Bürgermeister trauen. Dennoch will der Priester Gläubigen Gelegenheit  bieten, am richtigen Ort den Segen Gottes für das Brautpaar zu erbitten.

Bis 23 Uhr schleppt sich die Feier träge vor sich hin, dann spielt endlich die Band Nissiotika, die traditionellen Lieder der ägäischen Inseln. Da kommt Stimmung auf, die griechischen Gäste tanzen bis 4 Uhr am Morgen. Gelegentlich vorbeikommende Einheimische oder gar Touristen wie wir werden - anders als bei traditionellen griechischen Hochzeiten - nicht zu Tisch gebeten. Ob das eine Spätfolge der >krisis< ist oder ob es nur ganz einfach daran liegt, dass das Brautpaar  aus Athen und Italien stammt, bringen wir nicht in Erfahrung. Schön anzusehen und anzuhören war das Fest ja allemal - eine bleibende Erinnerung, die wir auch am nächsten Abend kurz vor Mitternacht mit auf die Fähren nehmen, die uns über Santorin und Milos nach Sifnos bringen werden.

 

INFOS:

Offizielle Website: www.anafi.gr (griechisch und englisch)

Schiffsverbindungen: Zuverlässig nur mit der Prevelis. Zwei- bis dreimal wö. befährt sie die Route Piräus-Milos-Santorin-Anafi-Kasos-Karpathos-Chalki-Rhodos und die Route Piräus-Milos-Santorin-Anafi-Iraklio-Sitia-Karpathos-Kasos-Chalki-Rhodos. Weitere Verbindungen mit kleinen lokalen Schnellfähren aus Santorin sind möglich, werden aber nur kurzfristig publiziert (www.gtp.gr). In Zweifelsfällen kontaktiere man die Hafenpolizei auf Santorin, Tel. 22860 22239.

Unterkünfte: Meltemi Rooms, Tel. 6942678926, www.booking.com (hier wohnten wir);  Golden Beach Resort, Tel. 2286028856, www.goldenbeachanafi.com (mit Infinity Pool), Apollon, Tel. 2286028739,  www.apollonvillagehotel.com (zwischen Chora und Hafen).

Wanderkarte: terrainmaps.gr (1:15 000, erschienen 2015)

 

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