Sonntags in Thessaloniki
Von Klaus Bötig | 1.Juli 2019
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Es ist Sonntag in Thessaloniki. Ein Bummel am Altstadtufer, eine Rad-, Kutschen- oder Bootstour und auf jeden Fall ganz viel Live-Musik gehören dazu.
Der Weiße Turm ist nicht nur das Wahrzeichen der Balkanmetropole, sondern auch Dreh- und Angelpunkt für viele Freizeitaktivitäten. Hier beginnt die Nea Paralia, die völlig neu und fußgängergerecht gestaltete Uferpromenade. An Ständen vor dem Turm werden Obst, Nüsse und vor allem Eis und bunte Zuckerwatte feilgeboten, sind ein paar Souvenirs zu erwerben. Einspänner warten auf Kundschaft, um sie auf der Promenade spazieren zu fahren. Sportlicher ist es freilich, sich bei Bike It gleich neben dem Klotz des Hotels Makedonia Palace ein Fahrrad zu mieten. Die Auswahl ist groß, reicht von vierrädrigen Familien-Pedalos über Tandems, Foot Bikes und E-Bikes bis hin zu den legendären Holzfahrrädern von Coco Mat. Damit hat man das Velo neu erfunden: Rahmen, Gabel, Lenker und Sattel der Bikes werden aus Eichenholz gefertigt.
Eine Stunde reicht, um damit einmal zwischen dem Weißem Turm und dem Megaro Moussikis, der festungsähnlichen Konzerthalle Thessalonikis, hin und her zu pendeln. Dabei bleibt noch Zeit, dem Reiterdenkmal Alexander des Großen Ehre zu erweisen, wo der Welteroberer zum Olymp am anderen Ufer des Thermäischen Golfs blickt. Muße bleibt auch, um die verschiedenen gestalteten Gärten zu genießen und die aufgestellten Kunstwerke zu betrachten - allen voran die Installation >Umbrellas< des Künstlers Giorgos Zongolopoulos. Seit 2013 scheinen die 40 transparenten, aufgespannten Schirme hier über Hafenmole und Meer zu schweben; seit 2018 tut es ihnen eine Kopie an einem Strand des ägyptischen Alexandria gleich
Thessaloniki vom Wasser aus
Der Weiße Turm ist gleich danach Startpunkt für eine beschauliche Bootsfahrt. Bis spät in die Nacht hinein kreuzen das ganze Jahr über kleine Ausflugsboote vor der Altstadtkulisse Thessalonikis. An Werktagen sind tagsüber vor allem Urlauber an Bord, an Wochenenden griechische Familien jeder Größe. Am späten Nachmittag relaxen auf ihnen die Business People bei Afterwork-Parties, im Sommer sind nachts bis um Vier muntere Party-Crowds an Deck. Musikfarbe und -lautstärke passen sich den Passagieren an, das angebotene Getränkespektrum reicht vom Espresso bis zu Cocktail und Whisky flaschenweise. Die Fahrt ist kostenlos, nur ein Getränk muss man bestellen. Wer Rollenspiele liebt, findet den für ihn passenden Dampfer. Einer ist inklusive Crew ganz auf Piratenschiff getrimmt, der andere eine mutige Konstruktion der >Argo<. Mit der brachen in früher griechischer Zeit Jason und seine Argonauten zur Fahrt ins Schwarze Meer auf, um das Goldene Vlies zu holen.
Der Törn beginnt am Weißen Turm, dem letzten Teil der mittelalterlichen Hafenmauer der Stadt, die dem Verkehr weichen musste. Von See aus kann man sich gut vorstellen, ein Saraszene zu sein: Eine Flotte dieser Seeräuber aus islamisierten Mittelmeerländern belagerte und plünderte Thessaloniki im Jahr 904. Der Blick vom Schiff aus reicht hinauf bis zum Eptapyrgio. Vor der Hafenmole mit den Museen wendet der Käpt’n, fährt dicht an der Uferstraße mit ihren vielen Bars und Cafés entlang und folgt dann der Nea Paralia bis zum Konzerthaus. Nach etwa 30 Minuten ist man wieder am Weißen Turm, steigt aus oder dreht die Runde noch einmal.
Kaffee und Kultur
Nach so viel Vergnügen ist ein wenig Kultur angesagt. Dem Weißen Turm kann man aufs Dach steigen. Aus 35 m Höhe blickt man über die Dächer der Unterstadt bis zu den mächtigen Mauern der Akropolis hinauf, hat das ganze Thessaloniki in seiner mittelalterlichen Größe vor sich. Das Bauwerk stammt aus dem Jahr 1430 und bildete den südöstlichen Eckpfeiler der Stadtmauern, die außer am Meeresufer weitgehend bestens erhalten sind. Im Innern des Turms führt ein breiter, spiralförmiger Aufgang mit einigen pferdefreundlichen Stufen aufs Dach. In den verschiedenen Geschossen vermitteln Fotos, Videos und Multimedia einen guten Kurzüberblick über die Geschichte Thessalonikis, darunter auch über Einzelaspekte wie Trinkwasserversorgung, Kanalisation und Fernhandel.
Anschließend geht es zum Archäologischen Museum. Es reicht ja, sich dort einmal ein halbes Stündchen im Museumsgarten >Memory in stone< zu verbringen. Hier stehen vor allem antike Sarkophage, wie sie noch im frühen 20. Jh. überall über die Stadt verteilt waren. Man konnte sie ja gut als Brunnenbecken, Viehtränken und Wasserspeicher weiter benutzen. Wiederverwendungen zugeführte antike Grabstelen und Säulen sind zudem sehr fotogen. Ein wenig Erotik tut am Sonntag auch gut? Dann nichts wie ins Archäologische Museum hinein. Da lehnt ein völlig nackter junger Mann erwartungsvoll an einem niedrigen Fels. Den rechten Arm hat er auf den Kopf gelegt, sein rechtes Bein über den Schoß einer verschämt die Augen senkenden jungen Frau, die ein völlig durchsichtiges Gewand trägt. Der Panther, der neben dem Mann sitzt und eine Pranke hebt, und die Weinblattgirlande über der Szene identifizieren ihn eindeutig als Gott Dionysos, seine Partnerin dürfte die kretische Königstochter Ariadne sein. Das bronzene Gefäß, das diese Szene ziert, ist der Derveni-Krater aus dem 4. Jh. v.Chr., den man 1962 in einem Grab in Derveni bei Thessaloniki fand. Samt Henkeln ist er 91 cm hoch und wiegt 40 kg. Röntgenuntersuchungen haben gezeigt, dass er nicht gegossen wurde, sondern durch Hämmern aus einer Bronzeplatte entstand. Seine Reliefs wurden zunächst von innen und abschließend von außen gearbeitet. Man schätzt, dass mindestens fünf Handwerker 18 Monate lang an diesem Prachtstück gearbeitet haben.
Auf dem Rückweg zum Weißen Turm ist nun eine Kaffeepause angesagt. Am breiten Fußgängerweg, der diagonal durch eine Grünanlage zwischen Museum und Turm verläuft, erinnern die bunten Tische, Stühle und Barhocker an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Da kann man im Anblick des Götterbergs Olymp relaxen, Kindern bei Fahrten mit der Mini-Eisenbahn zuschauen oder auch einen ersten Ouzo bestellen. Das Mittagessen fällt heute nämlich aus - in all den Musiklokalen, die an Nachmittag noch auf dem Programm stehen, wird es genug kleine Häppchen als Mezedakia geben.
Musik überall
Wir haben uns mit unserem kretischen Freund Kostas verabredet, der hier in Thessaloniki an Schulen traditionelle Musik für Lyra und Mandoline unterrichtet. Er hat uns auf unseren Wunsch ein typisch deutsches Programm ausgearbeitet: Jede Stunde Kneipenwechsel, damit wir möglichst viele solche Musiklokale kennenlernen. Alle Lokale liegen im Stadtzentrum zwischen Ägäis, altem Hafen und Aristoteles-Platz dicht beieinander.
Um 16 Uhr sind wir im >To Vidiano<. Vier Musiker aus verschiedenen Landesteilen spielen traditionelle Musik aus ganz Griechenland- bis zu vier Stunden lang ohne Pause. An den Wänden hängen Werke örtlicher zeitgenössischer Künstler. Essen muss man hier nicht, man kann auch nur an der Bar sitzen und zuhören. Wie auch in vielen anderen Lokalen im Zentrum der Stadt spielt hier jeden Tag eine andere Gruppe - sonntags ab 14.30, sonst ab 21.30 Uhr. Wir ziehen weiter ins >Anatolikon<, wo heute Rembetika auf dem Programm stehen. Fürs Weißbier zahlen wir weniger als in München: 3,20 Euro der halbe Liter. Und kein Gericht auf der Karte ist teurer als sechs Euro. Ein älterer Mann steckt den beiden Musikern je 20 Euro zu. Die beiden sind verlegen. “In Thessaloniki macht man das eigentlich nicht”, erklärt uns unser Freund Kostas. Wir kommen mit einem älteren Paar aus Wisconsin ins Gespräch, das gleich zu Beginn erklärt, nicht Donald Trump gewählt zu haben. Sie kommen jedes Jahr für eine Woche in die Hauptstadt Makedoniens, um griechische Musik live zu hören - “und nirgends geht das besser als hier”, sagen sie.
Unser nächster Stopp ist das >Tophane<. Es ist brechend voll, die Pareas sind schon am Tanzen. Rote Servietten fliegen auf die Piste, fast alle klatschen und singen mit. Äußerlich ist die Sängerin eine Tonne, stimmungsmäßig eine Bombe. Für ein Viertelstündchen holt sie auch unseren Freund Kostas ans Mikrophon: Er soll kretische Mandinades zum besten geben. Auch die kommen beim Publikum bestens an.
Zwei Lokale gönnen wir uns noch: Das Mousiko Kafenio >Tzamala< wo heute pontische Musik erklingt, und dann das kleine Bistro Glykia Symmoria, wo eine tolle Sängerin ganz ohne Mikrofon auskommt. Sie präsentiert Rembetika “aus der Zeit nach Marko” (Vamavakaris), sagt sie. Das Publikum und auch wir bestätigen das an der Wand verkündete Motto .”I feel good”, lautet es. Nach einem Sonntag in Thessaloniki kann man wohl auch nichts anderes empfinden.
INFOS
Websites: www.bikeitrentals.com (Fahrräder), www.mbp.gr (Weißer Turm), www.amth.gr (Arch. Museum)
Preise: Kutschfahrten 20 €. Holzfahrrad 3,50 €/Std., Tandem 7 €/Std., Bootsfahrten umsonst, Mindestverzehr an Bord ca. 5-6 €. Weißer Turm 3 €., Archäologisches Museum 6 €. Musikzuschlag in den Lokalen 2-3 €,.
Reiseführer: DuMont Reisetaschenbuch, DuMont Direkt und Marco Polo “Chalkidiki/Thessaloniki”, alle drei von Klaus Bötig
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