Ein Philhellene wird angeklagt
Von Klaus Bötig | 20.April 2011
Am 29. Juni 2011 sollte ich in einen Athener Gerichtssaal kommen, um - so steht es in der Ladung - “abgeurteilt” zu werden. Was mir vorgeworfen wird: Mein im Februar 2010 auf www.focus-online.de in der Rubrik “Kulturschock” auf der Reiseseite des Mediums erschienener satirischer Artikel über die Griechen sei wahrheitswidrig, alle genannten Tatsachen wären unwahr, er sei geeignet, die Ehre jedes einzelnen Hellenen zu verletzen.
Inzwischen zieht sich der Prozess endlos in die Länge. Zuletzt tagte man am 21. Februar 2012. Für den 1. März ist die 11. Verhandlung angesetzt - aber nur, um sich auf einen 12. Verhandlungstag zu vertagen. Mit einem Urteil ist wohl frühestens im April 2012 zu rechnen. Alles andere als ein Freispruch wäre ein juristischer und politischer Skandal…
Nächster (12.) Verhandlungstag wird der 9. März 2012 sein…
Trotzdem, viele Griechen werde ich weiterhin schätzen und lieben. Einen Grund, warum ich Griechenland die Stange halte, habe ich schon einmal in meinem Buch “Tage auf Kreta” beschrieben (www.tageaufkreta.de). Dort bezieht er sich zwar auf Kreta, er besitzt jedoch für ganz Hellas Gültigkeit. Der Prozess beweist seine ganze Richtigkeit. Hier dieser Text zum Nachlesen:
Liebeserklärung
Im Inselorchester des Erdballs setzt Kreta unverwechselbare Akzente. Seine Klänge sprengen die Partituren des Üblichen, betten Dich in eine Welt ein, die über die Horizonte des Sichtbaren weit hinausreicht. Nichts bleibt unmöglich.
Eines Morgens komme ich in ein kleines Dorf am Psiloritis. In der Kirche wird gerade getauft. Ich will es hautnah erleben, mische mich unter die Taufgemeinde, trete ganz dicht ans Taufbecken heran, in dem gerade ein Erdenkind ins Ewiges Leben verheißende Wasser getaucht wird. Murmle die Formeln mit, die die anderen murmeln, bekreuzige mich, wenn sie das Kreuz schlagen. Man lässt mich gewähren.
Dann ist die Taufe beendet. Der Priester hastet davon, ich trete aus der Kirche. Da erklingt die Stimme des Popen aus den Lautsprechern, die am Kirchturm befestigt sind. Er verkündet, der Satan sei da, habe sich unter die Gläubigen gemischt. Alle schauen mich an. Ich bin froh, dass mein Auto nur ein paar Schritte entfernt ist, nutze die Verblüffung der Dorfbewohner und fahre schnell davon. Man hat mich für den Leibhaftigen gehalten. Heute weiß ich, warum. Meine Fingerhaltung beim Kreuzschlagen war falsch. Ich hätte drei Finger gerade und zwei angewinkelt halten müssen, damit auf die heilige Dreifaltigkeit und die beiden wahren Naturen Christi bezeugend. Stattdessen hatte ich alle fünf Finger locker ausgestreckt: nach orthodoxer Interpretation also drei für die Trinität, einen für Maria – und den fünften für den Papst in Rom. Damit hatte sich Satan verraten…
Jahre später bin ich an einem Morgen schon um sieben Uhr in der Frühe in einem großen Gotteshaus auf der Lassithi-Hochebene, schaue mir die Ikonen an. Kein Mensch scheint zugegen. Ich bekreuzige mich, inzwischen auf die richtige Art. Nach zwanzig Minuten tritt eine alte Frau auf mich zu, stellt Eimer und Scheuerbesen ab, mit der sie die Kirche gereinigt hat. Sie bittet mich, mit ihr zu kommen. Schließt die Türen zur himmlischen Botschaft auf Erden, führt mich in ihr kleines Haus gegenüber, tischt zum Frühstück auf, was ihre kleine Küche hergibt: Honig und Käse, Eier und Zwieback, Marmelade, Früchte, Nüsse und Ziegenmilch. Sie spricht kaum, schaut mir nur zu und nötigt mich, kräftig zuzulangen. Bevor ich gehe, frage ich sie: >Warum bist Du so gastfreundlich zu mir?<. Ihre Antwort: >Weiß ich, ob Du nicht Christus bist, der mich auf die Probe stellen will?<.
Auf Kreta kann ich beides sein: Satan und Gottessohn zugleich. Und ganz viel Mensch. Darum liebe ich Kreta.
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10 Kommentare to “Ein Philhellene wird angeklagt”
Kommentare
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26.April 2011 at 22:53
Von der juristischen Bewertung abgesehen:
Wen Sie in dem wirtschaftsliberalen westlichen Kampfblatt Focus genau auf dem Höhepunkt der Hetzkampagne gegen Griechenland “satirische” (ha ha) Gedanken zum Besten geben, brauchen Sie sich nicht zu wundern, in den falschen Topf geworfen zu werden. Wer den feisten Gutsherrn Markwort hetzen hört, der freut sich über zusätzliche Munition aus der Feder des ach-so-guntmeinenden-Griechenlandchefkenners.
Was hat Sie dazu veranlasst? Geld wird wohl kaum der Hintergrund gewesen sein - also warum?
Hierzu wäre es im Übrigen interessant gewesen, nicht aus dem Geschwurbel zu zitieren, dass Sie zu ganz Themen verfasst haben - sondern konkret den Artikel zu verlinken, den Sie im Focus veröffentlicht haben. Dann könnte sich der interessierte Leser ein eigenes Bild machen.
Ein ganz schwaches Bild.
27.April 2011 at 08:16
Lieber “Simon”,
Ich habe nicht für das “Kampfblatt” Focus geschrieben, sondern für die Touristik-Redaktion von focus-online. Als ich den Auftrag erhielt und den Beitrag ablieferte, wusste ich nichts von Thema und Titelbild des geplanten Heftes - dann hätte ich den Auftrag mit Sicherheit abgelehnt (zumal ich noch nie zuvor für Focus geschrieben habe). Natürlich finden sie den Artikel unter http://www.focus-online.de, wenn Sie den Suchbegriff “Kulturschock Griechenland” eingeben. Ich dachte, das sei für jeden selbstverständlich. Selbst auf meine Seite einstellen konnte ich ihn nicht, da die Verwertungsrechte bei der Online-Redaktion liegen.
9.Mai 2011 at 10:28
Sehr geehrter Herr Bötig,
haben Sie die Griechen als “Völkchen” bezeichnet oder nicht? Ist so eine Bezeichnung minderwertig oder nicht?
Wenn ein “Philhellene” mit den Hellenen auf die Art und Weise umgeht, sind mir die “Mishellenen” bestimmt lieber.
Für die meisten in Deutschland lebenden Griechen war die Zeitperiode März-Mai 2010 aüsserst unangenehm und peinlich und da haben Sie leider mitgemacht. Ihr Artikel war zwar deutlich harmloser als andere Artikeln und Sendungen (z.B. Harald Schmidt). Eine solche Pauschalisierung habe ich allerdings von Ihnen nicht erwartet.
Was die juristische Seite angeht: im Gericht berufen Sie sich bitte auf die Pressefreiheit. Es wird nichts passieren. Eine ganze Nation zu verspotten ist zwar schlimm allerdings nicht strafbar.
9.Mai 2011 at 11:05
Sehr geehrter Yannis,
ich habe die Griechen als “symypathisches Völkchen” bezeichnet. Jeder Muttersprachler versteht diese Bezeichnung ausschließlich positiv. Das deutsche “chen” entspricht dem griechischen “-aki” oder “-itsa” - und diese Diminutive sind in aller Regel ja auch äußerst postiv und im Griechischen noch mehr verbreitet als im Deutschen. Schauen Sie in den Duden, googeln sie den Begriff “sympathisches Völkchen” - und Sie werden wohl verstehen, was mir z.B. der Vorsitzende der Hellasfreunde Bern/Schweiz gerade wieder schrieb: Mein Artikel macht Lust, sofort nach Griechenland zu fahren. Zudem möchte ich zu Bedenken geben, dass das Wort “Volk” zumindest bei vielen Deutschen einen negativen Beigeschmack hat, wurde es doch lange schlimm mißbraucht….
10.Mai 2011 at 15:20
Sehr geehrter Yannis,
gut, dass Sie mich über diese Konnotation zum griechischen Begriff aufklären. Ich habe noch nie behauptet, perfekt oder auch nur nahezu fehlerfrei Griechisch zu sprechen. Ich habe meinen Beitrag ja nicht auf Griechisch für Griechen geschrieben, sondern auf Deutsch für Deutschsprachige. Und die haben es zu über 99% als humorvolle Satire und Sympathiebezeigung für Greichenland verstanden.
10.Mai 2011 at 20:01
Sehr geehrter Yannis,
mitgemacht habe ich nicht, hineingezogen wurde ich aber sicherlich. “Kulturschock” allerdings war ein Reihentitel, es gibt auch eine ganze Buchreihe “Kulturschock” im Verlag von Reise Know-how, der sich sehr um interkulturelle Verständigung bemüht. In dieser Reihe geht es ja gerade darum, Kulturschocks zu vermeiden, indem man interkulturelle Unterschiede zu erklären versucht. Beim Subtitel war meine Intention, die Frage mit einem eindeutigen “Ja” zu beantworten, wenn man eben von ihren auch historisch und religionsgeschichtlich unterschiedlichen Voraussetzungen weiß. Vielleicht konnte ich diese Anssssicht im Rahmen der von der Redaktion vorgegebenen Textmenge nicht wirklich realisieren. Das war dann eine journalistische Unzulänglichkeit. Und noch einmal: Ich habe mit dem Titelbild nichts zu tun, habe mich also auch nicht über altgriechische Kultursymbole lächerlich gemacht (grammatikalisch richtig: habe also auch keine altgriechischen Kultursymbole lächerlich gemacht). Ich weiß nicht, wo Sie wohnen - aber ich würde gern einmal heftig über all dieses mit Ihnen in Ihrem oder meinem Lieblings-Kafenío diskutieren…
30.Juni 2011 at 08:54
Und - waren Sie gestern in Athen vor Gericht?
Oder ist alles den Streiks zum Opfer gefallen?
30.Juni 2011 at 17:00
Hi Katharina, fast alle Prozesse sind gestern, am 29. Juni, in Athen wegen des Generalstreiks ausgefallen, nur der gegen mich und die Focus-Mitarbeiter nicht. Zwar streikte auch der Protokollbeamte der für diesen Fall zuständigen Kammer, aber in fünfstündiger Bemühung gelang es dem Gericht, anderswo einen nicht streikenden Beamten zu finden und ihn auftreten zu lassen. Jetzt war noch eine Stunde Zeit für die Verhandlung. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass nicht alle Angeklagten eine ordnungsgemäße Ladung erhalten hatten, deswegen wurde der Prozess auf den 19. August vertagt. Da sind zwar eigentlich Gerichtsferien, aber da der Fall am 22. August verjährt, hat das Gericht diesen ganz ungewöhnlichen Termin angesetzt. Die Farce geht also weiter…
1.Juli 2011 at 12:37
Kalimera Klaus, Dario Fo hätte seine Freude, und Petros Makaris könnte diese Geschichte in seinen Krimis als soziologisch-gesellschaftlichen Ort, gut einfließen lassen. Auch die von uns so geliebten Hellenen produzieren ihre Schildbürger.
P.S.Herzlichen Dank für deine Liebeserklärung zu Kreta. Grüße auch von Heidi Rainer
20.August 2011 at 10:19
Lieber Klaus,
ich hoffe sehr, dass dein gestriger Prozesstermin gut verlaufen ist. Denn was da gegen dich vorgebracht wird, ist so hanebüchen, wie ich selten etwas erlebt habe.
Ich weiß nicht, wie lang wir uns nun schon kennen und wie viele deiner Griechenland-Bände ich bearbeitet habe. In all diesen Jahren habe ich dich immer souverän, integer und fair erlebt. Ich frage mich wirklich, wer all diese Leutchen eigentlich sind, die sich anmaßen, den Stab über dich brechen zu dürfen? Kennen die dich überhaupt?
Und dass man dir auch noch Begriffe wie “sympathisches Völkchen” ankreidet, ist fast zum Lachen. Noch nicht mal ich als sonst so gestrenge Lektorin hätte daran war zu kritteln gehabt. Dass man von den Bewohnern eines relativen kleinen Landes als sympathisches Völkchen spricht, ist doch keine bös gemeinte Verniedlichung! Ich finde das alles an den Haaren herbeigezogen.
Klaus, ich schätze dich und deine Arbeit sehr und hoffe für dich, dass der Spuk bald vorbei ist. Und ich freue mich darauf, mit dir auf Samos oder einer anderen griechischen Insel mal wieder ein Glas Wein zu trinken.
Herzlich, aus München
Rosemarie