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Kos und die Flüchtlinge im September 2015

Von Klaus Bötig | 17.September 2015

Mein junger  Kollege Dimitrios Charistes aus Stuttgart ist gerade von Kos zurückgekehrt. Er hat mir nachstehenden aktuellen Bericht zur Verfügung gestellt:

 

Erste Welt trifft Dritte Welt

Ehrenamtliche Bürgerbewegungen wie Kos Solidarity oder Flying Help leisten aktive Flüchtlingsarbeit, während die Politik stillsteht

VON DIMITRIOS CHARISTES

Löchrige Schlauchboote, Müll und Rettungswesten am Stadtstrand, Menschen die auf der Straße schlafen. Die Bilder zur globalen Flüchtlingskrise sind allgegenwärtig. Besonders die Fotografie eines toten Jungen am Strand von Kos ging in den letzten Wochen um die Welt. Griechenland und Italien ächzen unter der Last anhaltender Flüchtlingsströme aus Afrika und Asien. Vor allem die griechischen Inseln Kos, Lesbos und Mitilini haben seit Monaten mit der brenzligen Flüchtlingssituation zu kämpfen, fordern Entlastung sowie akute Hilfeleistung der EU. Wo die kommunale und europäische Politik versagt, Polizei und Militär kapitulieren, versuchen Bürgerbewegungen in Zusammenarbeit mit  ausländischen Hilfsvereinen und Touristen den Flüchtlingen mit dem Wichtigsten zu begegnen, was bleibt: Respekt und Herzlichkeit. 

Diesen Sommer 2015 werden die Bewohner und Touristen von Kos nicht vergessen. Denn die Symbolik des Alltags trifft hier so radikal aufeinander, wie es nur selten die Realität zeigt. Auf der linken Seite des Vasilis Georgiou-Boulevard im Zentrum von Kos-Stadt sitzen sonnenhungrige Reisende in den Tavernen, stoßen mit Wein auf ihren Urlaub an und lassen sich ihre üppige Mahlzeiten schmecken. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegen Flüchtlinge aus Syrien und Pakistan in Billigzelten entlang der Strandpromenade. Erschöpft von ihrer Überfahrt auf dem Mittelmeer versuchen sie zu schlafen oder starren traumatisiert aufs Meer. Viele können es nicht glauben, endlich in Europa angekommen zu sein. Die örtlichen Behörden schätzen die Zahl der Flüchtlinge, auf 1000 bis 2000 Personen. Durch den Einsatz von Fährverbindungen nach Athen hat sich die Lage momentan aber etwas stabilisiert. Es dürften insgesamt Hunderte Gestrandete sein, die von Kos aufs griechische Festland und anschließend in die nördlichen Regionen wollen. Doch kommen täglich, meist in der Nacht, neue Schlauchboote an. Nicht alle Insassen erreichen aber den friedlichen, griechischen Boden. Unzählige sind bereits auf der kurzen Überfahrt vom türkischen Festland nach Kos ertrunken – eine Tragödie, bei einer Distanz von fünf Kilometern Küstenabschnitt.

Während die einen versuchen wegzusehen, sind viele Touristen auf Hilfe bedacht, sprechen Flüchtlingsfamilien direkt an, spenden Getränke, Essen und Alltagsartikel, leihen ihnen ein offenes Ohr. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Vorbeiziehende Menschen sind gezwungen sich zu positionieren. Einige fotografieren die chaotische Zeltlandschaft aus sicherer Entfernung, andere lassen sich von den Kriegsflüchtlingen nicht stören, setzen ihren Abendspaziergang ungeniert fort. Dennoch, im Inneren hat man sich längst entschieden. Will man helfen? Kann man helfen? Das man etwas tun muss, ist keine Frage des Verstands, sondern des eigenen guten Willens.

 

Aktive Hilfe von Kosianern

Seit fünf Monaten stemmt ein ehrenamtliches Bürgerbündnis die dramatische Lage vor Ort fast im Alleingang. Der Zusammenschluss von Kos Solidarity hat in den letzten Wochen und Monaten mit eigenem Geld die Versorgung der Flüchtlinge auf der griechischen Insel gewährleistet. Anfang August musste die Versorgung der Flüchtlinge aus Geld- und Personalmangel vorübergehend eingestellt werden, da die Massen an Flüchtlingen die Kapazitäten sprengten. Doch schon kurz darauf entschied sich die Bewegung weiterzumachen. Einer muss es ja machen. Organisator George Chartofilis, ein örtlicher Lehrer für Physik, wird dabei von einheimischen Helfern unterstützt. Nahrungsmittelspenden wurden von Hotels und Supermärkten organisiert. In einer kleinen Küche einer ehemaligen Kochschule am Rande der Neustadt werden täglich um die 1000 Essensrationen vorbereitet, mit privaten Pkw`s transportiert und einmal täglich im mittlerweile offiziell geschlossenen Camp “Captain Elias” und innerhalb der Hot-Spots der Stadt Kos an Flüchtlinge verteilt. Chartofilis und sein Team aus zirka 50 Freiwilligen sind mittlerweile fast pausenlos im Einsatz – jegliche Freizeit wird für die aktive Hilfe eingesetzt.

Der Hilfsmarathon beginnt täglich um 11 Uhr mit der Essensvorbereitung und endet oft weit nach Mitternacht, nachdem auch sichergestellt wurde, dass auch alle Flüchtlinge eine Mahlzeit erhalten haben. Es ist beeindruckend wie diese unterschiedlichen Menschen – viele davon das erste Mal in ihrem Leben – mit einer derart belastbaren Verantwortung konfrontiert sind und die stressige, chaotische Arbeit meistern.

Nach Feierabend geht es für viele von Ihnen direkt zur Solidarity-Basis. Auch für Getränkelieferant und Pub-Besitzer Kostantinos, der mit seinem lockeren Auftreten und Che Guevara-Look bereits bei vielen Flüchtlingen beliebt ist. „Hey, my friend“ - wird er schon von weitem begrüßt. Er gibt einem Afrikaner ein High-Five und erkundigt sich nach seinem Befinden. Dieser ächzt und stöhnt auf. Er habe seine Ausreisepapiere bereits erhalten, doch ihm fehlen die 50 Euro für ein Fährticket. So geht es vielen Flüchtlingen auf Kos. Einige sitzen seit über 20 Tagen hier fest. Dabei steht Ihnen eine lang widrige Weiterreise noch bevor. Ihr Ziel, Deutschland, Belgien oder Schweden ist für sie noch in weiter Ferne.

 

Dringend Hilfskräfte benötigt

Mittlerweile professionalisiert sich das Bündnis zum eingetragenen Verein, um auch Geldspenden annehmen zu dürfen. Chartofilis: „Wir brauchen dringend helfende Hände vor Ort und Unterstützung aus Europa. Viele Helfer sind am Ende Ihrer Kraft und ihrer finanziellen Möglichkeiten.“ Tatsächlich finden sich täglich neue interessierte Urlauber, die über Facebook auf das Bündnis aufmerksam geworden sind, in den Räumlichkeiten von Kos Solidarity ein, sortieren eingegangene Kleiderspenden, belegen Brötchen und packen Hygieneartikel sowie Wasservorräte zusammen. Die Atmosphäre ist positiv und engagiert, Freundschaften werden geschlossen, der Kampf für die gute Sache lässt Egos hier keinen Platz. Die meisten bleiben ein paar Tage oder opfern einige Stunden Urlaubszeit, dennoch sind auch einige freiwillige Helfer aus Deutschland, Österreich, Belgien, der Niederlande und Großbritannien angereist, um der Gruppe Unterstützung zu leisten.

Unter den Helfern ist auch Michael Goldhahn, Fluglehrer und Geschäftsführer einer kleinen Online-Agentur. Gemeinsam mit seiner Frau sollte es im Juli ein schöner Sommerurlaub auf Kos werden. Konfrontiert mit der akuten Notlage vieler Flüchtlinge auf der Insel beschlossen Goldhahn und seine Frau kurzerhand den Urlaub abzubrechen und spontan “Kos Solidarity” bei der Versorgung der Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln zu helfen. Schnell ist daraus die eigene Initiative Flying Help E. V. entstanden, die in direkter Zusammenarbeit Sachspenden von Deutschland nach Griechenland transportiert. Darunter ist bereits ein Sprinter für die bessere Transportleistung auf der Insel gespendet worden. Auch nach acht Tagen im Einsatz und sichtlicher Erschöpfung lässt den Mittfünfziger die Situation nicht los. „Die Zustände im Camp “Captain Elias” waren unbeschreiblich. Kinder, Frauen, Jugendliche, etwa 1200 Menschen vegetierten dort unter menschenunwürdigen Zuständen. Das Gebäude selbst war eine Ruine ohne Fenster, kein Wasser, kein Strom. Zwei Toiletten ohne Wasserspülung für über 1000 Menschen! Im Freien einige Paletten, an denen vier Wasserschläuche lagen. Das Abwasser floss direkt auf die Straße. Der beißende Geruch von Fäkalien umgab das Gelände.“ Dass der zuständige Bürgermeister von Kos die akute Hilfeleistung duldet aber nicht unterstützt, empfindet er als Schande. „So einen Ort darf es in Europa nicht geben!“, sagt er.

Was beeindruckt ist das Selbstverständnis, mit dem die Ehrenamtlichen mittlerweile ihren Alltag organisieren. Die eigenen Bedürfnisse sind längst denen der Flüchtlinge gewichen, und das, obwohl die vielen saisonalen Arbeitskräfte auf Kos ohnehin meist zwei Jobs nachgehen müssen, um selbst überleben zu können. So steht die Aussage von Maria Chatzinadou exemplarisch für die aufrichtige Herzlichkeit der Bewegung: „Warum soll ich mein kaputtes Auto reparieren, wenn ich sehen muss, dass Menschen vor meiner Haustür verhungern? Dann fahre ich eben selbst mit dem Fahrrad zur Arbeit.“ Dieser Sommer 2015 wird daher nicht nur für die vielen Flüchtlinge ein ganz besonderer in ihrem Leben gewesen sein – sondern auch für die vielen Ehrenamtlichen, die dem grausamen Schauspiel von Leben und Tod auf der schönen Ferieninsel tagtäglich begegnen müssen.

Sie wollen spenden und helfen? Besuchen Sie folgende Websites und kontaktieren Sie die zuständigen Ansprechpartner. Aktuell werden dringend geschlossene Jungen- und Männerschuhe (ab Größe 42), Socken, Männerunterwäsche, leichte Jackets und Jacken für die Weiterreise, Hygieneartikel, Rucksäcke, Decken und lange Hosen benötigt!

Direkthilfe vor Ort

Kos Solidarity:

Kontakt: [email protected]

Adresse:
For KOS SOLIDARITY,
Kos Post Office
Kos, Dodecanese
TK 85300
Greece

Direkthilfe von Deutschland nach Griechenland
Flying Help e. V.

www.flying-help.de

Ihre Spende an:
flying help e.V.
IBAN: DE57 75061168 000 1093371
BIC: GENODEF1SWN

Wenn Sie eine Sachspende schicken möchten schreiben Auf Ihre Anfrage erhalten Sie eine Liste der benötigten Artikel und die Adresse einer Spedition in Athen, die für Kos Solidarity Ihre Sachspende kostenlos nach Kos liefert.

 

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