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Küste West-Thrakiens: Land der Biotope

Von Klaus Bötig | 13.November 2013

„Welcome to the land of biotops“ grüßt ein Schild den Besucher, der von Thessaloniki, von der Insel Thassos und aus Makedonien kommend den Nestos überquert. Hier beginnt Thrakien, dessen griechischer Teil bis an den Grenzfluss Evros reicht. Im Oktober beginnt da die Hochsaison. Die Besucher kommen in Scharen: Zugvögel auf  ihrem Weg in die Wärme und Überwinterungsgäste, die bis zum Frühjahr bleiben.

Der über 240 km lange Nestos entspringt im bulgarischen Rila-Gebirge als Mesta und stellt in seinem Mündungsgebiet eines der wertvollsten Feuchtgebiete Europas dar, obwohl er bereits um 1950 vollständig eingedeicht wurde. Nur dicht am Fluss sind einige der einst typischen Galeriewälder erhalten geblieben, ansonsten strömt sein Wasser durch viele kleine Kanäle, bewässert Felder und Plantagen. Langweiliger Mais überwiegt, aber auch Aha-Erlebnisse beschert eine Fahrt durch dieses Bauernland. Da legen Kiwi-Bäume ihre schwer mit Früchten beladenen Äste auf Drahtgestelle in etwa zwei Meter Höhe, lassen Granatapfel-Wäldchen die staubige Landschaft erröten. Stadtkinder sehen Pfirsiche, Kirschen und Äpfel an den Bäumen, lernen Bohnenstauden von Paprikapflanzen zu unterscheiden und bewundern die Disziplin der Sonnenblumen, die sich auf weiten Feldern leuchtend gelb stets zur Sonne hin ausrichten. Die Alleebäume entlang der gut auch von Pkw befahrbaren Staubwege auf den Dämmen neigen ihre Kronen einander zu, bilden ein grünes Gewölbe. Große griechische Landschildkröten sind hier die häufigsten Wanderer, Menschen hingegen nur selten zu sehen. Ich begegne nur einem kanadischen Hobby-Ornithologen auf einem Mountainbike. Er ist auf der Suche nach dem Spornkiebitz, von dem hier noch etwa 40 Brutpaare leben sollen. Bienenfresser und Eisvögel hat er schon gesehen und fotografiert. Ich bin weniger vom Glück begünstigt, spotte nur ein paar Reiher und einen Hund. Der gehört zum einzigen Lokal am Nestos-Ufer, der >Psistaria Nestos<, und erweist sich als echter Grieche: Er scheint ein Nissomane zu sein, watet vom Ufer hinüber auf eine kleine Sandinsel im Fluss und streckt dort alle Viere aus.

Touristische Erschließung

Eine größere Insel hat dafür gesorgt, dass auch ausländische Touristen gelegentlich das Nestos-Delta erleben. Thassos mit seinen vielen Besuchern ist nah, von dort aus werden Tagestouren durchs Delta mit Jeep, Kanu, Mountainbike angeboten. Wer sich keiner Gruppe anschließen will, hat es schwerer.  Konstantina und Theodoros, die das Nestos-Informationszentrum in Keramoti betreuen, sind zwar sehr bemüht, Fragen zu beantworten – aber vernünftiges Kartenmaterial haben sie ebenso wenig zu bieten wie Info-Broschüren. Die einzigen Bücher, die sie verkaufen können, sind ein Fotoband fast ohne Text und ein sehr informatives Buch über Fische – doch wer hierher kommt, will nicht tauchen oder angeln, sondern Vögel und Reptilien sehen und bestimmen. Entsprechende Literatur muss man also von zu Hause mitbringen.

Noch schlimmer ist es um ein Millionenprojekt am Ostufer des Flusses bestellt. Da ist nahe Erasmio für 3,5 Mio. Euro ein traumhaft schönes Besucherzentrum entstanden, größtenteils von europäischen Staaten unter Beteiligung der griechischen Lotteriegesellschaft OPAP entstanden. Hier könnten Besucher in Holzhütten übernachten, an großen Picknicktischen zusammen sitzen, Kinder auf einem großen Spielplatz mit schönsten Holzgeräten toben. Doch kein Mensch ist hier. Vortragsraum, Souvenirshop und  Info-Ausstellung sind geschlossen, der Spaziergänger verfängt sich in Spinnenetzen von über einem Meter Durchmesser. Alles ist sauber – weil niemand mehr kommt.  

Schwaben an Thrakiens Stränden

Gut besucht ist im Sommer hingegen die >White Bar< am nahen Erasmio Beach. Da stehen 55 Schirme auf weißem Feinsand an einem schier unendlich scheinenden Strand, 50 m breit und kleinkindfreundlich flach abfallend. Direkt gegenüber ragt die Insel Samothraki über 1600 m hoch aus der Ägäis auf, im Westen begrenzt die Insel Thassos das Blickfeld, im Osten sind es die sanften Hügel von Avdira. Kein Haus, geschweige denn Hotel, ist weit und breit zusehen. Die vielen Autos, die nahe der Bar parken, kommen fast alle aus dem nahen Xanthi, ausländische Fahrzeuge sind nicht darunter. Deutsche kommen an Thrakiens Küsten ohnehin selten. Und wenn, dann sind es meistens Schwaben, die durch griechische Kollegen auf deren Heimat aufmerksam wurden und jetzt fast jedes Jahr hier ihren Urlaub verbringen.

Auf der Weiterfahrt gen Osten reichert Avdira die Biotop-Reise mit antiker Kultur an. Das antike Abdera wurde 545 v.Chr., von griechischen Siedlern aus der kleinasiatischen Stadt Teos gegründet und zählte im 5. Jh. v.Chr. über 20 000 Einwohner. Zwischen dem heutigen Dorf und dessen schalen Stränden sind Teile der Stadtmauern, der Thermen, mehrerer Wohnhäuser und einer frühchristlichen Basilika zu sehen. Eine große Hinweistafel am Eingang zum Grabungsgelände ruft mir in Erinnerung, das die Abderer im Altertums so etwas wie die Schildbürger von Hellas waren: das Schild untersagt ausdrücklich die Jagd zwischen den alten Ruinen.

Vorbei am langen, extrem flach abfallenden Sandstrand Mandras Beach mit einem vielbesuchten Campingplatz führt die Straße schließlich ins nächste Biotop, dem Vistonida-See. Zusammen mit dem Nestos-Delta bildet er den >Nationalpark Ost-Makedonien und Thrakien<, von dessen Existenz selbst Griechen kaum wissen.  Der 45 km große, je nach Wasserstand bis zu 3,5 m tiefe See wird im Sommer durch eindringendes Meerwasser brackig, süßt dann im Winter und Frühjahr durch die reichlich Wasser führenden Bäche aus den Rodopen aber wieder weitgehend aus. Mit  seinen Schilf- und Tamariskenufern bildet er zusammen mit den zahlreichen Lagunen westlich und östlich von Porto Lagos eines der bedeutendsten Winterquartiere für Zugvögel aller Art. Über 150 000 Wintergäste werden hier gezählt, vor allem Blassrallen, Enten und Gänse. Als Brutvögel sind Löffler, Säbelschnäbler, Rotschenkel und mehrere Seeschwalbenarten besonders häufig. In den seenahen Dörfern nisten viele Storchenpaare, auf frisch gepflügten Feldern mischen sie sich unter Hunderte von Möwen. Reiher zeigen wenig Scheu, sitzen zu Dutzenden auf Brückengeländern unmittelbar neben der viel befahrenen alten Nationalstraße E 90 und in kahlen Bäumen nahe dem Dammweg hinüber zum kleinen Kloster Agios Nikolaos, das fotogen im See liegt.  

Fledermäuse und Nachtigallen

Gleich hinter Porto Lagos und dem Nikolaos-Kloster zweigt eine Straße wieder zur Küste  ab und führt dort in den kleinen Badeort Fanari mit mehreren Hotels. An der Abzweigung pflegt der Verein der Volksgruppe der Sarakatsani drei für diese einstigen Halbnomaden typischen Strohhütten und trifft sich dort einmal im Jahr zu einem großen Fest. Fanari besitzt einen langen Sandstrand und gute Fischtavernen. Ausländische Pauschalurlauber waren noch nie hier; die Klientel sind überwiegend Thraker aus der nahen Stadt Komotini.

Am nächsten Tag fahre ich weiter ins stille Bergdorf Maronia, wo mich der Gemeindevorsteher in seiner sehr ländlich anmutenden Gemischtwarenhandlung am Dorfplatz erwartet. Nach einem Kafedaki begleitet er mich an die Strände von Maronia. Ganz nah liegt die Insel Samothraki vor uns, in der Ferne sind Limnos, Thassos und sogar noch der heilige Berg Athos zu sehen. Wir besuchen drei schöne, moderne Hotels am Meer. In keinem wohnt jetzt außerhalb der Hauptsaison ein einziger Gast. Wir setzen uns auf die Terrasse des Hotels Dioni und hören das Klopfen von Spechten und den Gesang der Nachtigall.

Hotelbesitzer Dimitiri ist ein echter Naturbursche. Gemüse und Salate baut er im eigenen Garten an, seine Bienenkästen stehen unmittelbar am Hotel, an der Rezeption liegen von ihm selbst gesammelte Kräuter aus. Und überall an den Wänden hängen Fotos einer Tropfsteinhöhle, auf die in Maronia alle stolz sind. Zehn Arten von Fledermäusen leben darin. Dimitiri führt Gäste, die zu ihm  gefunden haben, gern in der Abenddämmerung dorthin, wenn sie scharenweise aus der Höhle zu ihren nächtlichen Beuteflügen starten. 

Heimat des Kyklopen

Mit Georgios, einem studierten Archäologen, unternehme ich anschließend auf holpriger Piste eine Fahrt mit dem Mountainbike rund um den Berg Ismaros, an dessen Hängen die antike Stadt Maroneia stand. Wir sehen die Überreste eines Theaters und eines römischen Propylons, entdecken überall in der Phrygana Mauerreste aus dem Altertum und gehen etliche Schritte über einen gepflasterten Pfad, auf dem einst der homerische Held Odysseus zur Höhle des Kyklopen hinaufgestiegen sein soll, der hier am Ismaros in einer Höhle hauste. Georgios ist auch Besitzer eines Hotels am Rande des Dorfes. Da hält er Ferngläser und Spektive für aktive Gäste bereit, Kayaks für Flusstouren auf dem Nestos, Equipment für Rock Climber, einen Jeep, Mountainbikes, einen Pool, ein kleines Privatkino – und eine beeindruckende Auswahl exzellenter Malt-Whiskies und griechischer Spitzenweine. Nur Gäste hat er ebenso selten wie die anderen Hoteliers dieser Region. Dabei käme man sogar aus Deutschland im Direktflug hin – schließlich ist der Flughafen von Alexandroupoli nur knapp 40 km entfernt.

 INFOS

Gute Websites: http://www.nestosplus.gr/, www.north-adventures.gr, http://www.evros-delta.gr/ , http://www.epamath.gr/

Reiseführer: „Amphibien und Reptilien des griechischen Festlandes“ von Benny Trapp (NTV-Verlag, Münster); „Reiseführer Natur. Griechenland Festland undKüste“ von Johannes Kautzky (Tecklenborg-Verlag, Steinfurt).

Straßenkarte: „Thrace 1:250 000“ (Orama-Verlag)

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