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Leros 2014 - Das Dornröschen des Dodekanes

Von Klaus Bötig | 30.September 2014

So wie sich die kurze Landebahn des lerischen Flughafens schweißtreibend gut zwischen Hügeln und Meer versteckt, liegen auch die meisten anderen Reize der Insel zwischen Kalymnos und Patmos weitgehend im Verborgenen. Fremde kommen kaum, um sie zu entdecken. Die Orientierung fällt auf Leros anfangs nicht leicht. Mehrere Buchten dringen tief in den Inselkörper ein, schaffen Isthmen, verwirren. Viele Inselorte gehen nahtlos ineinander über, die Konglomerate reichen von der einen Inselseite zur anderen hinüber. Nur ein Fixpunkt bietet sich dem Auge fast immer dar: Die mächtige Burg auf einem 150 m hohen Felskamm über dem Inselhauptort Platanos.

Schon in der Antike stand hier zumindest ein Wachtturm, in byzantinischer Zeit eine erste Festung. Die Johanniterritter, die ja von 1209-1522 von Rhodos aus über den gesamten Dodekanes herrschten, erweiterten sie. Im Zweiten Weltkrieg verschanzten sich erst die Italiener und dann die Briten in ihr, die Deutschen bombardierten sie schließlich und erneuerten noch während des Kriegs ihre Mauern.

Im Vorhof der Burg steht das ehemalige Kloster der Panagia tou Kastrou. Ihr wertvollster Besitz ist eine wundertätige Marienikone mit bewegter Geschichte. Während des Bilderstreits im Byzantinischen Reich (726-843) wurde sie an die Inselküste gespült und fortan in einer Dorfkirche aufbewahrt. Um 1300 drängte sie in die Johanniterburg. Dort fand sie der Festungskommandant eines Morgens neben brennenden Kerzen ausgerechnet im Pulvermagazin. Er befahl, die Ikone sofort in die Dorfkirche zurück zu bringen. Doch am nächsten Morgen war sie wieder da. Der katholische Kreuzritter akzeptierte das orthodoxe Wunder und ließ die Lerier eine Kirche für die Marienikone direkt in der Burg bauen.

Gleich hinter der Kirche hat sich für Georgios ein Lebenstraum erfüllt. Er wuchs in den USA auf, wollte eigentlich Theologie studieren. Seine Eltern hielten das für eine brotlose Kunst, er arbeitete fortan für große Reedereien. Nach Leros zurückgekehrt, wendete sich sein Schicksal: Er wurde als Kurator des kleinen Ikonenmuseums in der Burg engagiert. Da erklärt er Besuchern jetzt leidenschaftlich gern alle ausgestellten Ikonen, überrascht mit so noch nie zuvor gehörten Interpretationen. Er hat all seine Schätze abfotografiert, zoomt für  Interessierte die Ikonen-Details, über die er gerade in bestem Amerikanisch doziert, auf seinem Samsung-Tablet heran.

Solch gute Führung würde man sich auch in der Kapelle der Agia Matrona-Kioura im Inselnorden wünschen. Sie birgt in ganz Griechenland ganz einzigartige Werke sakraler Kunst: Von während der Junta-Zeit in den nahen Kasernen internierten politischen Gefangenen 1968-70 geschaffene Wandmalereien. Aus Jesus als Schmerzensmann und der trauernden Maria schreit hier tiefstes persönliches Leid heraus, die Darstellungen wirken stark expressionistisch, zeigen Anklänge an den berühmten Ernst Barlach.

In Platanos, dem Hauptort der Insel, erinnern noch einige stattliche Villen an die besten Jahre der Insel zwischen 1880 und 1912. Als Ägypten und der Dodekanes noch Teil des Osmanischen Reichs war, gelangten viele Lerier am Nil als Kaufleute zu Wohlstand. Damals gab es sogar eine Linienschiffverbindung zwischen Alexandria und Istanbul mit Zwischenstopp u.a. auf Leros. Dann kamen 1912 die Italiener und machten den Dodekanes plötzlich zum Fremdkörper zwischen dem befreiten Griechenland und der neu erstehenden Türkei. Sie bauten Leros zu einem ihrer bedeutendsten Kriegshäfen aus und planten mit Lakki eine faschistische Musterstadt. Die jetzt viel zu breiten Straßen des kleinen Hafenorts erinnern ebenso an jene Periode wie viele Gebäude aus italienischer Zeit. Manche kopieren den Orientalischen Stil, der das italienisch besetzte Rhodos prägte, die meisten aber waren Experimentierfeld für einen >Internationalen Stil<, dessen bedeutendste Vertreter anderswo so berühmte Architekten wie Le Corbusier, Mies van der Rohe und Walter Gropius waren. Seine typischen Merkmale sind auch in Lakki etwa am als Kino dienenden Theater, am ehemaligen Hotel Roma, am Rathaus und der katholischen Kirche auszumachen. Es sind die Abkehr vom Historizismus, die radikale Vereinfachung der Form, die Ablehnung von Ornamentik, die Verwendung von Glas, Stahl und Beton.

Die Italiener erbauten in und um Lakki auch viele große Kasernen und ließen ausgedehnte unterirdische Stollen anlegen. Einer davon kann heute als >Tunel-Museum< besichtigt werden. Es ist mit Kriegsrelikten vollgestopft, im verwilderten Vorgarten hat sogar ein viel jüngerer Starfighter Platz gefunden. Vor allem aber erzählt das Museum vom Jahr 1943. Nach dem Tod Mussolinis und dem italienischen Seitenwechsel hatten sich Briten auf Leros verschanzt. Die deutsche Luftwaffe bombardierte die Insel daraufhin 52 Tage lang. Von den Opfern zeugt heute noch ein Soldatenfriedhof des Commonwealth. Dort sind 183 Gefallene aus Großbritannien, Kanada und Südafrika beigesetzt.

Die Kasernen fanden noch lange weiter Verwendung. Schon im griechischen Bürgerkrieg wurden hier Kommunisten interniert. 1957 wurden dann viele von ihnen zur größten psychiatrischen Klinik Griechenlands umfunktioniert. Die entwickelten sich zum bedeutendsten Arbeitgeber der Insel. Zeitweise lebten 800 Einheimische von den bis zu 3200 Patienten. Erst nach der Aufdeckung haarsträubender Mißstände durch internationale Medien wurde die Klinik seit 1990 modernen Erkenntnissen angepasst. Heute leben nur noch maximal 700 psychisch Kranke auf Leros, die meisten von ihnen in betreuten Kleingruppen außerhalb der Klinikgebäude. Sie fallen auch dem Reisenden auf, denn sie zählen zu den am freundlichsten grüßenden Leriern.

Lakki mag wie ein interessanter Fremdkörper auf der Insel wirken. Urlaub macht man eher auf der anderen, der Kleinasien zugewandten Inselseite. Da scheinen die Häuser des Hauptorts Platanos zu zwei Seiten einen Bergsattel hinunter zu rollen: Auf der einen Seite zum Auch-noch-immer-Fischerdorf Panteli, wo der Urlauber zwischen Fischerbooten badet und seinen frischen Fisch an direkt auf den Strand gestellten Tischen genießt – und auf der anderen Seite zum zweiten Fährhafen von Leros, Agia Marina. Sein archäologisches Museum ist nun schon seit Jahren geschlossen, was in diesem Fall aber nicht wirklich bedauerlich ist. An Altertümern hat Leros fast nichts zu bieten. Selbst die wenigen Mauern eines einst stolz ausgewiesenen Artemis-Tempels entpuppten sich bei kürzlichen Nachforschungen nur als Reste eines antiken Wachtturms.

Alinda markiert einen der beiden Schlusspunkte der weiten Bucht von Alinda, an der die meisten der wenigen lerischen Badehotels stehen. Ein langer, aber nur sehr schmaler Kiesstrand säumt in Alinda die gesamte Uferstraße, von allen Tavernen aus hat man Platanos und die Kreuzritterburg deutlich vor Augen. Nachts wird sie angestrahlt – ein phantastischer Anblick!

Sehr viel breiter als der Strand von Alinda ist der Sandstrand auf der anderen Inselseite an der Bucht von Gournas. Hotels fehlen hier gänzlich, nur ein paar Zimmer und Apartments werden vermietet. Auf der Nordseite der Bucht erinnert ein Felsinselchen vor der Küste, dass die weiße Kapelle des Agios Issidoros trägt, entfernt an die viel berühmtere Insel Vlacherna auf Korfu: auch sie ist über einen oft von der Brandung nassen Damm mit dem „Festland“ verbunden. Und auf der Südseite der Bucht endet das Sträßlein vor der Kapelle des Agios Georgios direkt am Meer. Innen sind zwei alte Fresken erhalten: eine Mariendarstellung aus dem 14./15. Jh. und eine Darstellung des hl. Georg zu Pferde aus dem 17. Jh. So hat auch Leros dem Kulturreisenden immer wieder unverhofft kleine Schmankerl zu bieten.

Im Hügelland gleich über der Bucht von Gournas kommt der Freund urwüchsiger Landschaft dann voll auf seine Kosten. Hier zwischen Gournas und Lakki zeigt sich Leros von seiner wohl schönsten Seite. Auf der sanft gewellten Halbinsel, die maximal 152 m über dem Meeresspiegel liegt, stehen nur einige einzelne Bauernhäuser, Rinderställe und Kirchen. In die Phrygana eingestreut sind kleine Felder, einige Treibhäuser und vereinzelte Bäume. Bei entsprechendem Wolkenhimmel fühlt sich Mancher vielleicht nach Schottland versetzt.

Kommt man dann schließlich wieder nach Lakki zurück, ist es wahrscheinlich Zeit für einen Sundowner. >O Kinezos< ist dafür eine gute Adresse. Chinesische Schriftzeichen auf Lampen und Speisekarten geben dem Lokal einen leicht fernöstlichen Touch, der Inhaber aber ist lupenreicher Grieche. Weil er häufig sehr schnell und undeutlich sprach, für Mitarbeiter und Gäste nur schwer zu verstehen war, gab man ihm den Spitznamen >Chinese<. Er machte das beste daraus und kreierte sogar einen hauseigenen Cocktail aus Gin, Malibou, Marschino, Ananas und Orangensaft, den er humorvoll >Kinezos< taufte. Jeder ist jetzt in seiner Kasse für sieben Euro gut.

Später am Abend sind dann die einfachen Ouzerien von Xirokambos ganz im Inselsüden ein schöner Ort mit Blick auf den Nachbarn Kalymnos. In der direkt am Meer erbauten Kapelle der >Allheiligen der Krebse<, der Panagia Kavouradena, ist da, weltweit wohl einzigartig, eine Ikone der Madonna mit Kind zu sehen, die von einem großen Krebs schützend umarmt sind, und die Panagia sto Paleokastro wurde auf dem einstigen Burghügel über dem Ort in die Steinlagen eines großen hellenistischen Wachtturms hineingebaut. Drunten in den Ouzerien am Wasser bekommt man mit etwas Glück einen ganz besonderen Fisch. Er heißt in dieser Region >Germanos<, also >Deutscher<. Den Namen gab man ihm im Krieg, weil seine Haut einem Tarnanzug ähnelt und seine Rückenzacken besonders kriegerisch aussehen. Da kann man einmal als Deutscher Deutsche essen.

INFO

Website: www.leros.gr

Anreise: Mit Olympic Air tgl. ab Athen. Mit Katamaran tgl. ab Patmos, Kalymnos, Kos und Rhodos, mit Fähre 3x wchtl. ab Samos, mit Blue Star Ferries bis zu 4x wchtl. mit Piräus.

Reiseführer: DuMont-Reisetaschenbuch >Kos/Nördlicher Dodekanes< von Klaus Bötig

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