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Samos 2015: Wie man noch gut wandern kann

Von Klaus Bötig | 7.August 2014

Samos bleibt vom allgemeinen griechischen Tourismus-Boom heuer wie schon im letzten Jahr ausgeschlossen. Jetzt träumt man von Billigfliegern, tut aber nichts für das größte Potential, das die Insel besitzt: ihre alten Eselspfade, die Kalderimia.

Eine Freundin erzählt mir im Bergdorf Koumaradei von einem netten Gespräch, das sie in ihrem Kunsthandwerksladen mit einem deutschen Tourismus-Manager führte. Der macht gern selbst auf Samos Urlaub, weil es so schön ruhig ist – kann aber nicht mehr Touristen einfliegen, solange es auf der Insel nicht mehr All-inclusive-Hotels gibt. Die Reiseveranstalter verlangen danach, die Einheimischen fürchten sie wie die Pest. Darum haben samiotische Tavernenwirte, Pensionsbesitzer, Zimmervermieter und Ladeninhaber im vorvergangenen Winter und Frühjahr viel Geld gesammelt. Ein Billigflieger soll die Insel anfliegen. Der nämlich würde freie Menschen statt Paketbucher auf die Insel bringen, die sich ihr Zimmer oder Apartment selbst im Internet aussuchen und die in Tavernen statt in Hotelrestaurants essen, sich ihr Eis am Kiosk kaufen statt es in ihrer >Anlage< umsonst an der Bar zu holen. Doch der Billigflieger verlangt 200 000 Euro Zuschuss für die Einrichtung seiner Station. Die Gemeinde hat dafür keinen Etat. Und die eifrigen Sammler haben nur 67 000 Euro zusammenbekommen. So bleibt es bei der relativ schlechten Verkehrsanbindung der Insel, die zudem schon seit Jahren unter einer Ausdünnung des Fährverkehrs mit Piräus leidet. Zeus sei Dank kommt wenigstens täglich ein Boot mit Urlaubern und Ausflüglern aus dem nahen Kusadasi in der Türkei…

Nach Meinung des deutschen Wander-Freaks Martin Wulhorst, der schon seit Jahrzehnten Stammgast auf Samos ist, haben die Samioten aber auch selbst Schuld daran, das weniger Urlauber kommen: „Sie haben nie verstanden, dass die vielen alten Esels- und Ziegenpfade der Insel und die alten gepflasterten Kalderimi-Wege ihr größtes Potential sind. Haben Asphalt- und Betonstraßen über sie gelegt, sie zu breiten Feldwegen ausgebaut.“  Martin verbringt auch in diesem Jahr wieder acht Wochen auf seiner Lieblingsinsel. Fast täglich widmet er sich der Pflege und Markierung der alten Wanderpfade, die er noch überall auf der Insel gefunden hat. Er reißt Unkraut aus und schneidet Zweige zurück, bessert Stufen aus und versprüht Farbflecken. „Seine“ fast 50 Wege kann man begehen und auch leicht finden: Er beschreibt sie stets aktuell in einer Internet-Datei, die man sich für sehr wenig Geld als pdf-Datei ausdrucken lassen und selbst als Büchlein gestalten kann (http://www.samoswandern.de/).

Weniger intensiv, aber auch sehr engagiert kümmert sich sonst nur noch ein kleiner Club, dem überwiegend Ausländer verschiedenster Nationalität angehören, der Erhaltung, Pflege und Markierung von Wanderwegen rund um die Inseldörfer, in denen die Mitglieder wohnen: Manolates, Vourliotes, Kokkari und Stavrinidis. Sie haben sogar aktuell ein kleines Faltblatt mit Wanderkarte herausgegeben, das kostenlos in einigen Geschäften und Hotels dieser Orte erhältlich ist – am sichersten im Museum-Shop im Zentrum von Manolates.

Manolates ist ohnehin das samiotische Bergdorf, das am meisten aus sich gemacht hat. Initiatoren waren freilich auch hier weniger die Einheimischen als Zuwanderer aus griechischen Großstädten und Ausländer. Durch ihre Aktivitäten hat sich Manolates zum Künstlerdorf der Insel entwickelt, in dem sich Urlauber gut einen ganzen Tag lang aufhalten können. Den üblichen Souvenir-Tand erhält man hier nirgends. Stattdessen stellt Georgios Nomikos seine Keramik in Raku-Technik auf Regalen aus, auf denen sich auch ganz vorsichtig seine Katzen bewegen. Im nächsten Keramikgeschäft, das sich auf farbige Kästchen mit Deckel spezialisiert hat, bemalt Angelika aus Deutschland Kieselsteine mit Blumen, griechischen Motiven und manchmal auch den Bremer Stadtmusikanten. Alek Lindus hat sich auf Olivenholz spezialisiert, im Trelovaporo gleich gegenüber zeigt die Athenerin Emmy ihre kunstvoll geformten und bemalten Boote aus Pappmaschee, die sogar schon im Athener Benaki-Museum für moderne Kunst zu sehen waren. Im Museum Shop bietet der einheimische Heimatforscher und Sammler Nikitas alte Originale traditioneller Handwerks- und Volkskunst an, im Hinterraum verkauft seine Mitarbeiterin Dorothea, eine promovierte Ethnologin aus Deutschland, in ihrem Bauernhaus auf Samos selbst gekochte Marmeladen. Maria aus Thessaloniki arbeitet mit Silber und Kieselsteinen – und im letzten Haus des Dorfes schenken die Wirtsleute der Taverne Loukas den Tresterschnaps souma aus, den sie hier direkt unterhalb des Lokals im Oktober selbst brennen.

Nur ein anderes Bergdorf versucht Manolates ein wenig nachzueifern: Koumaradei auf der Südseite der Insel. Eine alteingesessene Kräuterverarbeitungsfabrik hat dort ihr Sortiment um selbst destillierte ätherische Öle erweitert, drei Töpfereien bieten u.a. den Gerechtigkeitsbecher des Pythagoras an, der sich vollständig entleert, wenn man ihn über den Eichstrich füllt. Eva offeriert in ihrem Laden nicht nur alte griechische Handarbeiten und Teppiche, sondern auch ausgiebige Gespräche über die Insel auf Deutsch. Und von den beiden sehr guten Tavernen des Dorfes aus genießt man einen phantastischen Blick auf die Ägäis und die kleinasiatische Küste, kurvenreich auf die Landebahn einschwebenden Jets und die weite Küstenebene von Ireon.

In ihr liegt auch das berühmte Heraion, das Hera-Heiligtum aus archaischer und klassischer Zeit, das noch immer vom Deutschen Archäologischen Institut in Athen betreut wird. Hier steht allerdings nur noch eine Säule aufrecht. Weitaus eindrucksvoller wäre eins der bedeutendsten technischen Baudenkmäler der Antike nur wenige Kilometer entfernt: Der über 1 km lange Tunnel des Eupalinos. Er sollte die Wasserversorgung der antiken Stadt Samos im Belagerungsfall sicherstellen. Den Bau hatte man im 6. Jh. v.Chr. wie bei Tunneln auch heute üblich von beiden Enden zugleich begonnen und sich tatsächlich exakt mitten im Berg getroffen. Doch der Tunnel ist nicht einmal mehr auf einigen Metern fürs Publikum zugänglich, sondern aus Sicherheitsgründen ganz für Nicht-Archäologen gesperrt. Das stößt bei vielen Touristen auf Unverständnis, zumal man schon zufrieden wäre, wenn man durch eine Glasscheibe in einen beleuchteten Tunnelausschnitt hineinschauen könnte. Die beiden bedeutenden Archäologischen Museen der Insel in der Hauptstadt Vathy und in Pythagorion sind zwar interessant, aber für Laien nicht so spektakulär wie jener Tunnel.

Der Antike gilt hier auf Samos ohnehin nur das Interesse weniger Urlauber. Sie kommen zum Baden, zum Wandern und zum Erleben ursprünglich gebliebener griechischer Dörfer abseits der Küsten. Davon gibt es über zwei Dutzend. Die meisten von ihnen sind noch immer quicklebendig, denn Samos lebt nicht vom Fremdenverkehr allein. Über 2500 Winzerfamilien kultivieren auf mehr als 1600 ha Rebflächen vor allem die weiße Muskattraube, die den Samos-Wein weltberühmt gemacht hat. Inzwischen spielt der legendäre Süßwein nur noch eine untergeordnete Rolle, trockene Muskateller sind en vogue. Die beiden Kellereien der Winzergenossenschaft, der jeder angehören muss, der die Muskattraube anbaut, produzieren jährlich etwa 8000 Tonnen, 80% davon werden exportiert. Die Winzer halten die Binnendörfer am Leben. Einige dieser Orte haben Dorfplätze, die zu den schönsten der Ägäis gehören: Myli, Vourliotes und Platanos zum Beispiel.

Und auch einige der Urlaubsorte drunten an der Küste können jeden griechischen Schönheitswettbewerb bestehen. Pythagorion punktet mit seinem fast kreisrunden Yachthafen, den idyllischen Gassen dahinter, der Nähe der archäologischen Stätten und den vielen Möglichkeiten zu Tagestouren mit Booten und Schiffen – nach Kusadasi und Ephesos in der Türkei zum Beispiel, nach Patmos und zur unbewohnten Insel Samiopoula. Kokkari hat eine lange Uferpromenade, einen kilometerlangen Kiesstrand samt Windsurf-Zentrum direkt am Ort und viele grün eingehüllte Badebuchten in unmittelbarer Nähe. Wohnen kann man aber auch in der vormittags sehr geschäftigen Inselhauptstadt Vathy mit dem malerischen alten Ortsteil Ano Vathy droben am Hang und in der Universitätsstadt Karlovassi, das noch vor 100 Jahren Standort vieler Dutzend Gerbereien war und sogar eine Straßenbahn besaß. Sein modern gestaltetes Gerberei-Museum ist in ganz Hellas einzigartig. Ganz in der Nähe von Karlovassi lockt ein Wasserfall zum ungewöhnlichen Bad in natürlichen Süßwasserbecken – und 50 bzw. 90 Minuten weiter westlich locken die Sandstrände Mikro und Megalo Seitani zum Sonnenbaden ohne Liegestuhl und Sonneschirm. Bisher kommt man nur zu Fuß dorthin. Jetzt aber fordern so manche Einheimische, den Fußweg in eine Asphaltstraße zu verwandeln. Martin Wulhorst, dem deutschen Wander-Freak, ist diese Vorstellung ein Graus: Wieder würde eine Attraktion vernichtet, mit der Samos eigentlich Pluspunkte bei aktiven Individualtouristen sammeln könnte.

INFO

Website des Dimos: www.vathi.gr (für die englische Version auf die Europaflagge klicken)

Flugverbindungen: Aegean ab Athen, Astra ab Thessaloniki, Sky Express ab Iraklio, außerdem Charterflüge ab Mitteleuropa.

Schiffsverbindungen zum Festland: Piräus, Thessaloniki und Kavalla. Umfassende Übersicht:  http://www.byshiptravel.gr/, Tel. 2273025065

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