Unbekanntes Griechenland: Die Chalkidiki abseits ihrer drei Finger
Von Klaus Bötig | 20.August 2013
Während die Halbinseln Kassandra und Sithonia beliebte Pauschalreisedestinationen sind, bleiben weite Teile der Halbinsel Athos frommen Mönchen und Pilgern vorbehalten. Das dicht bewaldete Hinterland ist bisher bestenfalls Ausflugsziel.
Der Blog erschien als Artikel in der Griechenland-Zeitung vom 6. August 2013
In den Wäldern um Varvara auf der Chalkidiki tragen viele Wildschweine Glocken um den Hals. Sie streifen recht frei durch die Region, zeigen wenig Scheu. Manchmal kümmern sich Hirten um sie, schränken Hunde ihre Freiheit ein. Doch entwischen wollen sie gar nicht, denn durch regelmäßige Zufütterung sind sie ihren Besitzern eng verbunden. Die EU, die jetzt ein Förderprogramm für ihre Haltung aufgelegt hat, stuft sie denn auch gar nicht als Wild-, sondern als Schwarze Schweine ein, wie sie auch in Spaniens Südwesten durch die Wälder streifen. Deren Schinken kostet in Europa mehr als 100 Euro pro Kilo. Die Chalkidiker verwursten die ihren oder bringen nur ihre Koteletts auf den Tisch. Die EU will das nun ändern.
In Varvara im hügeligen Binnenland der Chalkidiki ist Jannis froh darüber. Er besitzt 140 schwarze Säue. Sie sichern ihm sein Auskommen auch in den Zeiten der >Krisis<. Seine 30 teuer möblierten Hotelzimmer stehen jetzt hingegen fast immer leer. Vor der Krise waren sie ein Refugium für wohlhabende Thessaloniker, so dass Jannis seinem Hotel sogar die Webadresse businessclub.gr verpasste. Jetzt möchte er es am liebsten ganzjährig an mitteleuropäische Reiseveranstalter verpachten. Seine schicke 300-Plätze-Taverne hat er geschlossen, Würste und Koteletts serviert er nur noch in seinem kleinen Café direkt an der Dorfstraße. Da kehren hauptsächlich die Waldarbeiter ein, die wegen des angesichts hoher Heizölpreise gesteigerten Holzbedarfs reichlich zu tun haben.
Baden wo Aristoteles spielte
Drunten an der nur 30 Minuten entfernten Küste ist hingegen zumindest jetzt im Hochsommer nur wenig von schweren Zeiten zu spüren. Dimitri in Olympiada, Bauingenieur, Hotelier und Tavernenbesitzer zugleich, hat in den letzten zwei Jahren sogar noch viel Geld in die Modernisierung seines Hotels investiert und ist vielleicht auch deswegen so gut gebucht, weil er seinen Gästen das Frühstück auf Wunsch direkt am Liegestuhl serviert. Wer da übers Wasser schaut, sieht nur wenige hundert Meter entfernt die gut erhaltene Stadtmauer des antiken Stagira, Geburtsort des Aristoteles. Die gut gepflegten Ausgrabungen liegen auf einer kleinen, felsigen Halbinsel. Schmale Pfade führen zur klassischen Stoa an der Agora, Grundmauern zeugen von kleinen Häusern mit Ladengeschäften, in denen vielleicht der große Philosoph schon mit seinem Vater einkaufen ging. In Tempeln wurde Demeter und ihrer Tochter Persephone gehuldigt. Nach dem Rundgang durch das Ausgrabungsgelände mit seinem dichten Grün und vielen Erdbeerbäumen, die im Herbst Blüten und Früchte zugleich tragen, kann der Besucher dann am Sandstrand Proti Amoudia sein Bad nehmen und sich vorstellen, wie hier der kleine Aristoles einst spielte und plantschte.
Vom großen Problem Olymbiadas ist vor Ort kaum etwas zu spüren: Aus zermahlenen Abraumhalden einstiger Blei-, Silber und Zinkbergwerke will man Gold gewinnen. Überall auf der Chalkidiki wird derzeit mit Plakaten und Demonstrationen gegen die dadurch gefährdete Trinkwasserqualität und die Umweltbedrohung allgemein demonstriert – nur in Olymbiada nicht. Da hängen zu viele – teils wohl recht überflüssige – Jobs am goldenen Faden. Einfluss auf die Meerwasserqualität haben die noch sehr geringen Aktivitäten von Hellas Gold bisher aber nicht. So kann man auch die Zuchtmuscheln bedenkenlos genießen, die während der Saison vielfach am Straßenrand für 2,50 €/kg feilgeboten werden.
Im Bann des Athos
Olympiada ist ein Ort ganz ohne Pauschaltourismus und keinem der drei Finger der Chalkidiki zuzuordnen. Anders die nahe Athos-Halbinsel: Da steppt, um es leger zu sagen, der pauschaltouristische Bär. Allerdings nur zwischen Ouranoupolis und Tripiti, wo sich auf der Landseite der Küstenstraße große Hotelanlagen die niedrigen Hänge hinaufziehen – meist mit nachbarschaftsfeindlichem All-Inclusive-Programm. Ouranoupolis selbst ist als >Tor zur Mönchsrepublik< auf ganz andere Weise trubelig. Hier parken die Athos-Pilger ihre Autos, bevor sie die Fähre nach Dafni besteigen, dem Hafen des Heiligen Berges. Hier starten die Athos-Kreuzfahrten entlang der Westküste der Mönchsrepublik, an der auch Männer ohne Athos-Visum, Frauen und Kinder teilnehmen dürfen. Hier versuchen Dutzende Ikonenhändler, aus der Frömmigkeit der Pilger und dem Interesse der Touristen Gewinne zu schöpfen. Trotzdem lohnt Ouranoupolis unbedingt einen Kurzaufenthalt: Am besten morgens zwischen 8 und 10 Uhr, wenn zwischen den Pilgern auch zahlreiche Mönche in den Cafés am Anleger sitzen, die in ihre Wahlheimat zurückkehren wollen. Danach könnte man noch eine gute halbe Stunde auf einem – auch gut befahrbarem – Feldweg immer am Ufer entlang bis zur Landgrenze der Mönchsrepublik wandern, wo große Schilder darauf aufmerksam machen, dass die Grenze bewacht wird und jeder Grenzübertritt auf dem Landweg verboten ist. Außerdem legen Archäologen am Ende des Wegs seit einigen Jahren auch die Ruinen des nur zwischen 996 und 1199 von orthodoxen Mönchen bewohnten Klosters Zygou frei, das die Kreuzritter plünderten und die Lateiner später zur Festung ausbauten.
Inselurlaub à la Chalkidiki
Ouranoupolis schräg gegenüber liegt die einzige ständig bewohnte Insel der Chalkidiki: Amouliani. Wer mag, kann sich direkt am Anleger führerscheinfreie Motorboote mieten, ein Picknick einpacken und mit Zwischenstopps an den Stränden der unbewohnten Drenia-Inseln nach Amouliani übersetzen. Weniger Mutige nehmen die zwischen Tripiti und Amouliani hin und her pendelnde Autofähre (Ticketpreis 2 Euro). Das Inseldorf gibt sich ganz modern, ist wie viele Orte auf der Chalkidiki eine erst nach 1925 gegründete Siedlung. Bis dahin lebten auf Amouliani nur zwei Athos-Mönche und etwa 30 Arbeiter. Dann kamen Flüchtlinge aus drei Dörfern nahe Istanbul, die zuvor überwiegend Fischer gewesen waren. Auch viele ihrer Nachfahren sind der See noch eng verbunden, leben aber auch vom Tourismus: Im Hochsommer müssen die 600 Insulaner mit bis zu 10 000 Besuchern täglich fertig werden. Die sind tagsüber freilich zumeist an den Stränden, von denen der etwa 800 m lange, sandige Alikes Beach der Hauptbadestrand ist. Wer mag, kann sich im Pferdewagen vom Anleger dorthin fahren lassen.
Griechische Idylle
Wer Menschenmassen, ob griechische oder ausländische Touristen, weniger schätzt, findet aber auch am Golf des Heiligen Berges (Kolpos Agiou Orous) noch Fluchtpunkte. Develiki ist solch einer. Über Asphalt kommt man von Gomati aus hin, einem kleinen Binnendorf an der Straße, die die Athos- mit der Sithonia-Halbinsel verbindet. Wo das Sträßlein die Küste erreicht, macht man unweigerlich vor der Taverne Dionisos Halt. Unterm schattigen Blätterdach niedriger Bäume stehen auf dem „Waldboden“ Sitzmöbel der verschiedensten Art. Wegweiser geben die Entfernung nach Los Angeles (18739 km), Rio de Janairo (13225 km) und Barcelona (2178 km) an, Windspiele in den Bäumen lassen sanfte Töne erklingen. Bunte Bänder an den Ästen verbreiten ein Hauch von Buddhismus, ausgediente Hüte dienen als Lampenschirme. Zum ersten Ouzo werden Oliven und Gurkenscheiben mit Meersalz in einem Porzellanschälchen kredenzt, zum zweiten Pfirsichsegmente. Draußen ziehen die als Piratenschiffe aufgemachten Athos-Dampfer der Großveranstalter vorbei, pendelt die Amouliani-Fähre hin und her. Am über einen Kilometer langen Sandstrand geht in den zwei Stunden, die ich verweile, nur ein alter Herr in Shorts, T-shirt und Strohhut ins Wasser, seinen kleinen Enkelsohn an der Hand. Ein Zimmer finde ich 200 m entfernt in der ebenfalls direkt am Strand gelegenen Fischtaverne Eleni. Die Fliegenklatsche liegt auf dem Tisch, unterm Vordach der sieben ebenerdigen Zimmer nisten Schwalben. Gebäude, Mäuerchen und Garten mit Tamarisken, Kiefern, Bananenstauden, Eukalyptus und Wein zeugen von der großen Leidenschaft des Wirts: Zement in jeder Form, ob zwei- oder dreidimensional, mit Kieselsteinen zu verzieren. Im Winter holt er sie sogar von der Kassandra. Sein liebstes Objekt: Variationen des Weißen Turms von Thessaloniki in allen Größen und Abwandlungen.
Besuch bei Sogambros
Von Develiki sind es nur 45 Minuten Fahrt bis zur Halbinsel Sithonia mit ihren vielen guten Stränden. Man kann jedoch unterwegs auch wieder in die Hügel des Hinterlands abzweigen und bei Megali Panagia die gleichnamige Wallfahrtskirche mit ihrer wundertätigen Marienikone besuchen. Die Holzschnitzereien bulgarischer Künstler aus dem vorletzten Jahrhundert sind ihr größter Schatz, Der Bischofsthron ruht auf zwei als Löwen mit prächtigen Mähnen gestalteten Füßen, über der mittleren Tür der Ikonostase, der sogenannten Königspforte, tragen vergoldete Engel einen Bogen, der wie ein Tisch wirkt, an dem die zwölf Apostelsitzen.
Wie ein Gesamtkunstwerk wirkt auch der historische Ortskern von Arnea, dem wohl schönsten Binnendorf der Chalkidiki. Von hier aus sind es nur noch wenige, aber sehr kurvenreiche Kilometer hinauf zum Cholomondas, dem höchsten Berg der Chalkidiki (909 m). Dicht unter seinem Gipfeln hält der 81-jährige Tavernenwirt Sogambros seit Jahrzehnten langsam fahrende Autos an. Manchmal trägt er dabei eine hessische Polizeiuniform, die ihm ein deutscher Stammgast mitgebracht hat, manchmal auch nur eine Mütze mit der Aufschrift >Pozilei< [sic!]. Keiner, der so gestoppt wird, ist Sogambros böse, denn sobald die Gäste an einem der Tische seiner Waldtaverne sitzen, beginnt sein Ein-Mann-Unterhaltungsprogramm. Sogambros schleppt Körber voller Fotos herbei, die ihn zumeist mit kräftig gebauten Touristinnen im Arm zeigen, und Stapel voller Gästebücher, in sich im letzten Jahr sogar der deutsche Außenminister Guide Westerwelle zufrieden eintrug. Derweil bereitet Sogambros Gattin Maria in der Küche den Salat vor, grillt der 52-jährige Sohn Christos Bratwürste und Koteletts vom >Wiledschwein<. Der Wein stammt vom Heiligen Berg. Oft spielt Christos nach dem Essen ein wenig auf seiner Bouzouki –und Sogambros animiert seine inzwischen aufgetauten Gäste klatschend dazu, ein wenig mit ihm unterm Blätterdach zu tanzen. Hier stellt sich wieder ein, was man in vielen Küstenorten der Chalkidiki vielleicht vermissen mag: Ein echtes Griechenland-Gefühl.
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