AUF IOS IST WIEDER RUHE EINGEKEHRT
Von Klaus Bötig | 14.Dezember 2011
Schon seit den 1970er Jahren ist die Insel zwischen Naxos, Sikinos und Santorin alljährlich im Hochsommer die bevorzugte Party-Insel ganz junger Urlauber aus aller Welt. Seit Anfang September ist auf dem Eiland aber wieder große Ruhe eingekehrt. Jetzt ist sie ein lohnenswertes Ziel für Ruhesuchende, Badeurlauber und archäologisch Interessierte jeder Generation. Ios verwöhnt seine Besucher mit einigen der schönsten Strände der Ägäis. 36 km der über 81 km langen Küstenlinie werden von Feinsandbändern gesäumt. An den meistbesuchten bieten Wassersportstationen auch Gelegenheit zum Wind-, Kite- und Wakesurfen, zum Wasserski fahren und zum Gerätetauchen. Die jungen Leute zieht es im Hochsommer tagsüber vor allem an die tief ins Land einschneidende Hafenbucht von Gialós und an den langen Sandstrand von Mylopotas mit seinem großen, ganz auf die Jugend ausgerichteten Campingplatz. Zwischen beiden liegt in jeweils 20 Gehminuten Entfernung die schneeweiße Chora als kykladisches Bilderbuchdorf an einem konischen Gneisfelsen. Die engen Gassen sind autofrei, werden von Dutzenden internationaler Musikbars, Restaurants und Grillstuben gesäumt. Abends verwandelt sich der Ort in eine Riesen-Disco, ist Englisch auch für die griechischen Urlauber die gängige Umgangssprache. Dass die Bedienungen Griechisch sprechen, ist nämlich in den Lokalen häufig keine Selbstverständlichkeit. Die internationalen Charts prägen die Musikfarbe, doch nach Mitternacht sind auch die wenigen Ellinadika gut gefüllt, in denen vor allem griechischer Rock und Pop erklingt.
Jetzt im Herbst schläft die Chora wieder still vor sich hin. Ganz ohne Musikbeschallung steigt der Besucher durch enge, gewundene Gassen mit gekalkten Fugen bergan bis zu den Kirchen des hl. Nikolaus und Mariens dicht unterhalb des Felsgipfels, auf dem einst eine Burg stand. Drunten an der Hauptstraße wartet ein kleines, modernes Archäologisches Museum auf Besucher (geöffnet tgl. außer MO 8.30-15 Uhr, Eintritt 3 Euro). Es wurde erst 1999 eröffnet und birgt hauptsächlich Funde von Skarkos, der bedeutendsten archäologischen Stätte der Insel. Wer mag, kann von der Chóra aus in etwa 20-30 Minuten dorthin laufen Bronzezeitliches Skarkos Die 1984 begonnenen Ausgrabungen der prähistorischen Siedlung Skarkos aus dem 3. Jt. v.Chr. sind erst seit 2008 der Öffentlichkeit zugänglich. Für 1,76 Mio. Euro, von denen die EU 75% trug, wurde das Gelände sehr besucherfreundlich und informativ hergerichtet. Die Siedlung lag an einem niedrigen, flachen Hügel unterhalb der heutigen Chora. Dieser Hügel wird von mehreren Steinmauern umzogen, die die verschiedenen Siedlungsebenen voneinander trennten. Schautafeln zeigen das ursprüngliche Wegenetz im Dorf mit seinen vielen kleinen, platzartigen Erweiterungen. Von ihnen aus waren die einzelnen Hauskomplexe zugänglich. Die beiden Hauptwege im Dorf waren jeweils etwa 2 m breit. Zwischen den Grundmauern der Häuser sind immer wieder steinerne Treppenabsätze erkennbar, die von einem Obergeschoss zeugen. Die Häuser waren unterschiedlich groß, was für eine soziale Differenzierung innerhalb der Dorfgemeinschaft spricht.
Nur mit dem Mietwagen oder -moped kommt man jetzt im Herbst von der Chóra zu einem der landschaftlich schönsten Flecken der Insel: dem sogenannten Grab des Homer. Die 18 km lange Fahrt dorthin führt zunächst durch die kleine, fruchtbare Hochebene von Pano Kambos und führt dann an Hängen entlang, deren verfallende Terrassen von einst intensiver landwirtschaftlicher Nutzung zeugen. Als die ersten, aus dem kretischen Matala vertriebenen Hippies 1969 nach Ios kamen, zählte die Insel zwar nur 1270 Einwohner, aber über 3000 Ziegen und Schafe, 100 Kühe, 150 Esel und 200 Maultiere. Heute leben die inzwischen 2030 Einwohner fast nur vom Tourismus, nahezu alle Lebensmittel werden importiert. Die mit kräftiger EU-Finanzhilfe bestens ausgebaute Asphaltstraße zum Grab des Homer, auf dem außer Urlaubern fast nie jemand fährt, endet an einem Rondell, das phantasievoll an einen traditionellen Dreschplatz und damit an den Fleiß der einstigen Bauern erinnert. Drei senkrecht aufgestellte Steilplatten markieren hier den Beginn eines etwa 400 m langen Fußwegs. Gleich rechts tragen fünf Marmorstelen Inschriften in fünf Sprachen. Es sind Zitate aus je einem Werk des antiken Historikers Herodot (5. Jh. v.Chr.) und des ersten Reiseschriftstellers der Weltliteratur, des Griechen Pausanias (2. Jh. n.Chr.). Beide berichten, dass Homers Mutter aus Ios stammte und das der Dichter auf Ios gestorben und begraben sein soll. Auf halber Strecke erwartet den Grabbesucher ein moderner, schattiger Aussichtskiosk mit luftigem Kalami-Dach. Vom Frühjahr bis zum Herbst blüht es im völlig unverbauten Umfeld. Da zeigen sich Klatschmohn, Asphodelie und Thymian, Meerzwiebel und Herbstzeitlose. Die zweite Hälfte des Wegs haben die Nioten dann mit aufgehäuften Steinpyramiden geschmückt, die sich direkt am Grab des Homer häufen. Das Grab selbst ist auch kaum mehr als ein Geviert von Trockensteinmauern, angereichert mit einigen in der Umgebung gefundenen antiken Architekturfragmenten. Schon immer an diesem Ort stand nur der marmorne Trilith, gefügt aus zwei senkrechten und einer waagerechten Marmorplatte. Er war aber auf keinen Fall Teil eines Grabes aus dem 8. Jh. v.Chr., sondern gehörte vielleicht zu einem hellenistischen Wachtturm. Doch das interessiert hier kaum Jemanden: Zu erhaben ist das Gefühl, sich hier einem der größten Dichter der Geschichte nahe wähnen zu dürfen. Und der Blick gen Norden auf die Kleinen Kykladen, Naxos und die Ägäis ist ohnehin. Es gibt wohl keinen besseren Ort als diesen, aus ein paar mitgebrachten Kopien homerische Texte laut zu rezitieren
Wer ohnehin ein Auto gemietet hat, kann es auch nutzen, um einmal quer über die Insel 28 km weit bis zum Manganari Beach ganz im Osten zu fahren. Die bestens ausgebaute Straße führt übers gebirgige Rückgrat der Insel, gibt immer wieder prächtige Panoramablicke frei. Am Ziel angekommen, erwaten den Reisenden drei breite, lange Feinsandstrände und sogar ein paar niedrige Dünen. Zwischen Feldern verstreut stehen ein paar Häuser, meist Pensionen oder Tavernen. Am Strandselbst hält sich jetzt im Herbst meist kaum ein Mensch auf, obwohl das Wasser noch bis in den November hinein badewarm ist.
INFOS Daten und Fakten: 2030 Einw., 18,62 Einw./km² (Zensus 2011). 18 km lang, 8 km breit, Höchster Berg 732 m, 108 sm von Piräus, 18 km lang, 8 km breit, Gneis, Granit und Schiefermarmor als vorherrschendes Gestein. Fähren: Auch im Herbst Autofähren und Katamarane nach Santorin, Naxos und Piräus.
Beitrag aus: Allgemein | Ihr Kommentar »
...gehe weiter zu:
« Überwintern in Griechenland | Startseite | Naxos kreuz und quer »
Kommentare
Man muss eingelogged sein um einen Kommentar zu posten.