Begegnungen: Nonne und Eremitin
Von Klaus Bötig | 19.Februar 2014
Wie kann ein Ausländer das Vertrauen von frommen griechischen Schwestern erringen, war immer eine Rätselfrage, die mich bewegte. Zweimal gelang es mir.
Den ersten Bonuspunkt hatte ich bei der rhodischen Eremitin Angelophili gewonnen, als ich ihr am Hafen von Kastellorizo in der Mittagshitze ein Imerologio abkaufte, einen jener in jeden griechischen Haushalt gehörenden Heiligenkalender fürs laufende Jahr. Den zweiten Bonuspunkt erzielte ich schon wenige Stunden später. Ich hatte eine kurze Rast in dem Inselkloster eingelegt, in dem die sonst in der Waldeinsamkeit hausende Einsiedlerin für ein paar Tage untergekommen war. Sie erzählte mir, dass sie einmal im Jahr auf Verkaufsreise über die Inseln des Dodekanes zog, um mit dem Erlös ihren Lebensunterhalt für die nächsten elf Monate zu verdienen. Und sie stöhnte, dass sie nun allen Inselheiligen in ihren Kapellen Besuche abstatten müsse, obwohl der Weg dorthin doch so beschwerlich sei. Mein Ziel war eine mittelalterliche Burgruine im Inselinnern. Je näher ich ihr kam, desto lauter wurden die Explosionen. Die EU hatte der kastellorizischen Bergwelt Laternenmasten spendiert, und für die wurden nun Löcher in den steinigen Boden gesprengt. „Aber geh’ ruhig weiter“, meinte der Vorarbeiter, „nur wirf dich jedesmal auf den Boden, wenn das Warnsignal erklingt“. Ich machte kehrt und ging noch einmal zur Eremitin. Als sie von mir hörte, dass sie nicht zu den Kapellen wandern könne, weil dort gesprengt würde, war ich für sie fast ein Erlöser.
Am nächsten Tag fuhr sie mit dem gleichen kleinen Fährschiff wie ich nach Patmos am anderen Ende des Dodekanes weiter. Währen der langen Fahrt mit dem fast passagierlosen Dampfer wurden wir einander nahezu wortlos so vertraut, dass sie mich am Ziel fragte, ob ich nicht ihre Koffer voller Kalender in ihre Pension tragen könne. Nein zu sagen war mir unmöglich. Als wir drei Tage wieder zusammen aufs Schiff warteten, zu dem natürlich ich ihre inzwischen wohlgeleerten Koffer getragen hatte, lud sich mich ein, mich mit ihr auf den Molenrand zu setzen und die Beine überm Wasser baumeln zu lassen. Ich hatte das Vertrauen der >Freundin der Engel< gewonnen…
Bei der jungen Nonne, die allein in einem alten Kloster bei Ano Mera auf Mykonos lebt und deren Namen ich nicht verraten darf, half mir, dass ich den Namen der alten Nonne kannte, die lange vor ihr in diesem Konvent gelebt hatte. Ich lobte, dass der Blumenschmuck des Innenhofs noch schöner geworden sei, und bewunderte die vielen floralen Malereien, mit denen die neue Schwester das ganze Kloster überzog. Daraufhin bot sie mir ein Glas Wasser an. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie von den Meteora-Klöstern hierher übergesiedelt sei, um den Touristenschwärmen zu entgehen. Wenn immer ein Bus nahe, schließe sie die Pforten. Sie habe nichts gegen eine zweite Nonne in ihrem Kloster, nur müsse die ganz zu ihr passen. Als sie mir ein Stück Schokolade offerierte, fiel ihr plötzlich etwas ganz Anderes ein. Sie hatte die Rechnung des Schokoladenlieferanten noch nicht beglichen. Ob ich ihr einen Gefallen erweisen und den Betrag bei der National Bank in der Stadt einzahlen könne? Gern erklärte ich mich dazu bereit. Sie ging fort, um das Geld zu holen – und kehrte nach fünf Minuten mit einer Lidl-Tüte voller Münzen zurück. 513 Ewro und 23 Leptá, sagte sie mir, kritzelte mir den Namen des Empfängers und ihren eigenen Absender sowie beider Kontonummern auf ein Blatt Papier und ließ mich von dannen ziehen. Ich weiß bis heute nicht, worüber ich mich mehr wundern soll: Die exorbitante Schokoladenrechnung oder das unbegrenzte Vertrauen der frommen Schwester.
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