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Naxos im Winter

Von Klaus Bötig | 14.Dezember 2013

Auf Naxos bricht die Welt nicht zusammen, wenn die Touristen fort sind. Die Insel legt ihre Geschäftigkeit ab und zieht ihr Winterkleid an, das schon ab Januar die ersten Blüten wieder mit Farbtupfern schmücken.

 Das größte Kapital der Insel liegt im Winter brach: Die über 20 km langen Sandstrände entlang der Westküste von Naxos, die schon in der Chora beginnen, sind jetzt menschenleer. Sie laden zu langen Spaziergängen mit Blick hinüber nach Paros ein oder an vielen Wintertagen auch zu Sonnenbädern in windgeschützten Winkeln wie den Dünentälern von Pirgáki 20 km südlich der Chora.

 Die Einheimischen haben für die Strände erst wieder am Rosenmontag Verwendung, wenn sie hier – gutes Wetter vorausgesetzt – ihre Drachen steigen lassen. Ansonsten haben sie genug damit zu tun, sich von der in diesem Jahr besonders anstrengenden, aber auch erfolgreichen Saison zu erholen, für ein paar Tage zum Shopping nach Athen zu fahren oder jagen zu gehen und dann später ihre Häuser wieder zu weißeln, vielleicht sogar ein paar Reparaturen vorzunehmen.

Auf Naxos gibt es aber auch in der Landwirtschaft Einiges zu tun. Naxos ist für seinen guten Käse landesweit berühmt. Kühe, Schafe und Ziegen wollen versorgt, die etwa 150 bäuerlichen und die Handvoll größerer Käsereien mit Milch beliefert werden. Einen guten Ruf haben auch die naxiotischen Kartoffeln, die gleich hinter der Inselhauptstadt Chora im flachen Kambos angebaut werden. Und dann ist da ja noch die weitläufige Tragea mit dem größten Olivenhain der Kykladen, der auf Grund seines Alters eher einem Wald denn einer Plantage ähnelt. Das macht ihn für ausgedehnte Wanderungen attraktiv. Zwischen den Olivenbäumen verstecken sich Dutzende byzantinischer Kirchen wie der jetzt dem Verfall preisgegebene Kuppelbau Agios Mamas aus dem 9. oder 10. Jh., in dem im Mittelalter ein römisch-katholischer Bischof residierte. Am Pirgos Belonias zeugt die im Garten des mittelalterlichen Wehrbaus gelegene Doppelkirche Agios Ioannis von der religiösen Toleranz der Venezianer auf den Kykladen: Eine Hälfte war für den römisch-katholischen, die andere für den orthodoxen Ritus bestimmt. Architektonisch am interessantesten in die Panagia Drossiani, die im Kern schon aus dem 5. Jh. stammt und dem sehr seltenen Bautypus der Drei-Konchen-Kirche zugerechnet wird: Dem einschiffigen Hauptbau sind drei Nebenbauten angesetzt, von denen zwei überkuppelt sind. Viele der Kirchen in der Tragea, die auch als >Byzantinischer Park< gilt, sind  durch für griechische Verhältnisse gut ausgeschilderte Wanderpfade miteinander verbunden, die Gotteshäuser selbst aber meist verschlossen.

Touristisches Potential liegt auch an der Ostküste jenseits des Zas, mit 1004 m höchster Berg der Kykladen, brach. Viele EU-Gelder sind in die Planung und erste Rohbauten für einen Industriegeschichtlichen Park investiert worden, aus dem nie etwas wurde. Naxos war noch bis in die Nachkriegszeit hinein eines der bedeutendsten Schmirgelabbaugebiete Europas. Das Gestein durfte seit 1835 nur von den Bewohnern von sechs Bergdörfern im Osten der Insel abgebaut und vermarktet werden. Die Schmirgelstollen gehörten keinem Großunternehmen, sondern einheimischen Familien. Die Stollen lagen zumeist an den Hängen der tief eingeschnittenen Täler zwischen den Bergdörfern Apiranthos und Koronos sowie den Hafenweilern Lionas und Moutsouna, dem Hauptverschiffungshafen.Um den Schmirgel leichter dahin transportieren zu können, erbaute man 1923-27 eine über 9 km lange Seilbahn mit 72 Stützen, die vom Lionastal über die Berge und verschiedene Zuladestationen zum Verladekai führten. Seit 1982 rostet sie vor sich hin, an manchen Stellen hängen sogar noch Transportgondeln am Seil. Die Bergwerksstollen sind weiterhin offen. Wer sich im Dorf Koronos einquartiert, lernt fast immer einen Einheimischen kennen, der Interessierte in sie hinein führt.  

Weniger Wagemut und Eigeninitiative erfordern die archäologischen Stätten der Insel, die anders als der Demeter-Tempel bei Sangri auch im Winterhalbjahr jederzeit frei zugänglich sind. Am Rande der Chora selbst ragt auf einer flachen, felsigen Halbinsel das Wahrzeichen der Insel auf: das monumentale Tor eines Tempels, der wohl nie fertig wurde. Die Einheimischen nennen die Stätte >To Palati<, weil hier der örtlichen Legende nach Gott Dionysos residierte, als er dem aus Kreta geflohenen Theseus seine Braut Ariadne abspenstig machte. Die Archäologen datieren den fotogenen >Diarahmen< allerdings in die Zeit um 530 v.Chr. Bei Apollonas im Inselosten und bei Flerio im Inselwesten harren zwei marmorne Monumentalstatuen nackter Jünglinge – sogenannte Kouroi – liegend und unvollendet seit über 2500 Jahren aus. Sie waren vielleicht für die Aufstellung auf der heiligen Insel Delos bestimmt. Als sie nahezu fertig gestellt waren, zeigte der Marmor Risse und die Steinmetzen mussten ihre Arbeit einstellen.    

Nur 200 m oberhalb des Kouros von Flerio beginnt eine der ungewöhnlichsten archäologischen Expeditionstouren der Ägäis. Sie folgt dem Verlauf einer Wasserleitung von der Quelle bis in die Außenbezirke der Chora. Als sich im 6. Jh. v.Chr. die griechischen Städte konsolidierten und die Bevölkerungszahl stark anstieg, standen viele von ihnen vor dem Problem einer adäquaten Trinkwasserversorgung. Auf Naxos, das zu den wohlhabendsten Ägäisinseln gehörte, begann man bereits um 590 v.Chr. mit dem Bau einer über 11 km langen Wasserleitung durch stark hügeliges Gelände, die exakter Planung, millimetergenauer Ausführung und sogar der Anlage eines Tunnels bedurfte. Archäologen der Universität Athen legten Teile davon zwischen 2000 und 2006 mit finanzieller Unterstützung der EU frei, die auch die vorbildliche touristische Aufbereitung finanzierte. Wer ihr folgt, sieht den 220 m langen Tunnel mit einem Gefälle von nur 6 cm, die Filterbecken am Ein- und Ausgang des Tunnels und Tonröhren, die in in den Fels geschnittenen Kerben verlaufen. Auch die Modernisierungsarbeiten der Römer gut 650 Jahre später sind deutlich zu erkennen: Sie ersetzten streckenweise die Tonröhren durch aus Stein erbauten, mit Steinplatten gedeckten Kanälen, die ein größere Wasservolumen fassen konnten. Die Leitung blieb bis ins 8. Jh. hinein in Betrieb – also etwa 1400 Jahre lang.  

Langweilig wird es also auf  Naxos auch im Winter nie. Es gibt genug zu „erfahren“ und auch zu erwandern. Zu den berauschendsten Erlebnissen – ob per Auto oder zu Fuß – gehört sicherlich der grandiose Fernblick an klaren Tagen, den man so im Sommer kaum irgendwann erlebt. Vom Gipfel des leicht erklimmbaren Zas aus sind dann häufig auch Mykonos, Amorgos und Ios gut zu erkennen, manchmal reicht der Blick sogar bis nach Ikaria und Samos, Syros und Tinos hinüber. Einkehren kann man gut in der Taverne Platsa in Koronos. Die Taverne ist zugleich das Wohnzimmer der Familie. Inhaberin Matina ist die Köchin, ihr Ehemann Stavros der Bauer. Tochter Maria bedient und vermietet auch drei stilvolle Studios im Dorf, ein Enkelsohn lernt gerade, den griechischen Dudelsack Tsambouna zu spielen. Im Karneval wird er sie gebrauchen können, denn dann wird sie noch vielerorts gespielt.  Gegessen wird im Winter, was auf den Tisch kommt – die Familie bereitet von dem, was sie am jeweiligen Tag essen will, immer ein wenig mehr vor, falls tatsächlich einmal Wintergäste kommen. Sonntagmittags lohnt unbedingt ein Besuch in der Taverne >Platia< am Dorfplatz des stadtnahen Galini, wo Wirtin Voula den vielen einheimischen Familien Leckereien mit überwiegend naxiotischen Produkten serviert. Ihre mit Hackfleisch gefüllten und mit Käse und Zimt bestreuten Gemüsezwiebeln sind ebenso ein Gedicht wie die mit naxiotischem Graviera überbackenen  Auberginen unter Tomatenpüree…

Die Abende freilich verbringt man besser in der Chora, denn die Dörfer gehen früh schlafen. Zwar sind dort die verwinkelten Gassen im Altstadtviertel Bourgos und im Kastro-Viertel, in dem einst die venezianischen Herzöge der Kykladen residierten, weitgehend menschenleer, doch das tut ihrem Reiz keinen Abbruch. Einige kleine Hotels mit viel Flair sind ganzjährig geöffnet, in kleinen Cafés trifft man sich zu einem Drink bei guter griechischer Musik, in der Ursulinenschule im Kastro, wo auch Nikos Kazantzakis ein paar Jugendmonate verbrachte, wird kostenloser Unterricht in Alt-Griechisch erteilt. Dort können auch Urlauber an griechischen Tanzkursen teilnehmen. Am meisten Leben herrscht abends freilich an der Paralia, der Hafenstraße. In kleinen Beizen werden Oktopoden gegrillt und kleine Fische frittiert, dazu Raki oder die Inselvariante Souma genossen. In einer Bar kann man 20 verschiedene Cocktails auf der Basis der Inselspirituose >Kitro< probieren und auch ein paar Restaurants mit tagesfrischer Küche bleiben geöffnet. Gleich daneben sitzt allerdings in Popi’s Grill nur noch die uralte Kyria Popi hinterm Tresen. Ihre Kinder, die im Sommer die Taverne betreiben, machen Urlaub. Popi aber verkauft  weiterhin Käse – wie vor 60 Jahren, als nicht nur im Winter kaum Touristen nach Naxos kamen.    

 INFOS

Fährverbindungen: Tgl. 7.30 Uhr ab Piräus, 5-6x wchtl. auch 17.30, Fahrzeit bis Naxos 5:15 Std., www.bluestarferries.com

Flugverbindungen: Mit Olympic 2x wchtl. nach Naxos, http://www.aegeanair.com/

Busfahrpläne: http://www.naxosdestinations.com/

Veranstaltungskalender: http://paroslife.parosweb.com/

Reiseführer: DuMont-Reisetaschenbuch „Mykonos-Paros-Naxos“ von Klaus Bötig

Kartenmaterial: „Naxos“ (2011), Maßstab 1.40 000, Verlag Anavasi, http://www.mountains.gr/

Interessante Websites: http://www.scharlau-online.de/ (zum Schmirgelabbau), http://www.naxos.gr/ (offizielle Website der Gemeinde)

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