Ansichten und Reiseberichte eines Griechenlandreisenden
Von Klaus Bötig | 8.März 2012
1453 wurde Byzanz zu Istanbul. Manche griechische Regionen und Inseln waren schon zuvor unter osmanische Herrschaft geraten. Kreta blieb vorerst venezianisch, erst 1669 fiel Iraklio als letzte griechische Stadt dem Sultan in die Hände. Nur die Jonischen Inseln wurden als venezianischer Besitz nie von Moslems regiert. Von osmanischer Herrschaft befreit wurden die letzten Regionen erst 1912/13 – also über 90 Jahre nach Beginn des griechischen Freiheitskampfes.
Minarette auf Kreta
Von den vielen Jahrhunderten osmanischer Fremdherrschaft zeugen in Hellas auf den ersten Blick erstaunlich wenig architektonische Zeugnisse. Das hat zwei Gründe. Zum einen blieben viele kleinere Inseln und ländliche Regionen von islamischen Neusiedlern verschont, zum anderen fielen viele osmanische Bauten der Wut der befreiten Griechen und mehr noch planlosen Stadterneuerungen im letzten Jahrhundert zum Opfer.
Ein Hauch osmanischen Orients ist auf den Inseln am ehesten noch auf Kreta und Rhodos zu finden, die durch ihre Fruchtbarkeit und Größe auch für osmanische Großgrundbesitzer und Bauern interessant waren. Aber selbst auf Kreta haben nur drei Städte osmanisches Erbe gut bewahrt: Chania und Rethimno an der Nordküste sowie Ierapetra im Südwesten. In Chania, das die Türken 1645 als erste kretische Stadt eroberten und das ihnen von 1841 bis 1898 als Inselhauptstadt diente, bildet die Janitscharen-Moschee direkt am großen venezianischen Hafenbecken eine Landmarke, vor der heute Pferdedroschken auf Touristen warten. Der sorgfältig gemauerte Bau mit einem Kranz kleiner Kuppeln, halbkugelförmiger Zentralkuppel und vier Schwippbögen als Stützen diente zeitweise den aus christlichen Kindern rekrutierten Elitetruppen des Sultans als Betsaal, daher ihr Name. Aber nicht immer bauten die Osmanen für die Gläubigen neue Moscheen. Oft wandelten sie christliche Kirchen in moslemische Gotteshäuser um. Die Kirche Agios Nikolaos in Chania ist der sichtbarste Beweis dafür: Weltweit einzigartig wird ihre Fassade auf der einen Seite von einem christlichen Glockenturm, auf der anderen Seite von einem Minarett flankiert. Gegen Ende des 20. Jhs. drohte das Minarett zu verfallen. Man hätte es als unliebsame Erinnerung an fremde Dominanz verfallen lassen können – restaurierte es aber als historisches Denkmal und Dokument eines in Griechenland einsetzenden Umdenkens in Bezug auf den „Erbfeind“.
Noch weitaus stärker als Chania wird Rethimno von Moscheen und ihren Minaretten geprägt. Hier gehören sie zum unverwechselbaren Weichbild der Stadt. Ein halbes Dutzend jener runden Türme, von denen einst der Muezzim die Gläubigen zum Gebet rief, ragt hier noch in den Himmel über der Altstadt – bestiegen werden kann wegen Baufälligkeit keiner mehr. Doch immerhin birgt eine der Moscheen heute das städtische Odeon, eine andere ein Archäologisches Amt. Kunstgeschichtlich am interessantesten ist der Innenraum der Sultan-Ibraim-Moschee in der Festung Fortezza. Bei ihrem Bau zeigten sich die türkischen Architekten von der kretisch-venezianischen Architektur beeindruckt und verwendeten gotische Gurtbögen als künstlerische Zitate. Die kleine Moschee in der Altstadt von Ierapetra ist dagegen belanglos, gilt jedoch – inzwischen samt ihres zierlichen Reinigungsbrunnens auf dem Vorplatz schön restauriert – als wertvollste historische Bausubstanz des kleinen Landstädtchens.
Islamische Relikte vor Kleinasiens Küste
In der Altstadt von Rhodos durchdringen sich die Bauten verschiedenster Epochen engmaschiger als in jeder anderen griechischen Stadt. Auch die Moslems hinterließen hier besonders markante Zeugnisse. Die kürzlich restaurierte Süleyman-Moschee aus dem 19. Jh. am oberen Ende der Einkaufsmeile Odos Sokratous dürfte auf fast jedem Touristen-Foto zu finden sein, ebenso die kleine, auf die Flaniermeile vorspringende Aga-Moschee gegenüber dem Kafenio Karakusu, das wohl als letztes osmanisches Kaffeehaus der griechischen Ägäis gelten darf. Weniger gut erhalten, aber völlig ins altstädtische Alltagsleben integriert sind die übrigen islamischen Gotteshäuser. Gegenüber der Redjab-Pascha-Moschee mit ihrem schönen Fayencen-Schmuck können Urlauber von der Terrasse der Mango Bar Emails direkt aus dem Mittelalter versenden, die Ibrahim Pascha-Moschee bildet das Zentrum eines Nightlife-Viertels für Einheimische mit Mezedopolia und Musik-Bars. Und für die Cafés an der Platia Arionos bildet die Mustafa-Pascha-Moschee eine stimmungsvolle Kulisse.
Auf Kos, neben Rhodos letzte Heimat islamischer Inselgriechen mit intakter Glaubensgemeinschaft, künden noch zwei historische Moscheen von osmanischer Besetzung. Die 1786 erbaute Hadji-Hassan-Moschee, die wegen ihrer offenen Bogenhalle, in der heute offene Souvenirstände stehen, auch als Loggienmoschee bezeichnet wird, gleicht eher einem kleinen Palast als einem islamischen Gotteshaus. Nur das hohe Minarett und der Reinigungsbrunnen direkt neben der legendären Platane des Hippokrates, dessen Kuppel von antiken korinthischen Säulen getragen wird, weisen von außen auf ihre einstige religiöse Funktion hin. Auch aufs Minarett der 1725 erbauten Defterdar-Moschee am Hauptplatz der Stadt steigt heute kein Muezzim mehr. Sie gehört aber weiterhin der islamischen Inselgemeinde. Die hat sie an zwei Cafe-Betreiber verpachtet, die in ihren Gemäuern und an den Tischen davor allerdings keinen Alkohol ausschenken dürfen. Zum Freitagsgebet treffen sich die Moslems der Insel heute außerhalb der Stadt in ihrer modernen Moschee im Vorort Platani. Da sorgen an der Platia mehrere auch von Insulanern häufig besuchte Tavernen mit Namen wie >Serif Karawesir< und >Arap Memis< sowie eine Konditorei dafür, dass die Kunst der türkischen Küche auch noch in Griechenland nachklingt.
Den Ruf des Muezzims hingegen hört man heute nirgendwo mehr auf den griechischen Inseln – außer an manchen Tagen auf dem östlichsten Eiland Griechenlands, dem kleinen Kastellorizo ganz dicht vor der anatolischen Küste. Da hört man an manchen Tagen bei günstigen Winden den Ruf zum Gebet aus dem gegenüberliegenden Städtchen Kas. In die kleine Moschee an der Hafenausfahrt von Kastellorizo aber geht schon lange niemand mehr. Weiterhin genutzt wird hingegen die erst im 19.Jh in der Stadt Chios erbaute, gut erhaltene Moschee. Sie dient heute als Archäologisches Museum. Darin dokumentiert eine Sammlung höchst interessanter Grabsteine die Vielfalt der Nationalitäten, die im Laufe der Jahrhunderte auf der Insel ansässig waren. Man findet auf den Steinen nicht nur griechische, sondern auch italienische, hebräische, eine armenische, eine kastilische sowie viele osmanische Inschriften.
Moscheen blieben schließlich auch auf Lesbos erhalten: Die 1825 errichtete Jeni Dsami diente nach 1912 zunächst als Kaffeehaus und dann als Kulturzentrum. Die gleiche Funktion erfüllt heute die ehemalige Moschee in Molyvos auf Lesbos mit ihrem vasenartigen Minarettansatz.
Dieser Blog erschien erstmals als Artikel in der Griechenland-Zeitung vom 29.2.2012
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