Wartezeit-Telefonate: Rhodos am 22. Juni 2015
Von Klaus Bötig | 22.Juni 2015
Da ich meine Reise auf den 24.6. verschieben musste, nutze ich die Zeit für viele Telefonate mit griechischen Freunden. Eben habe ich mit einer Freundin auf Rhodos telefoniert. Sie erzählt von Flüchtlingen, Bargeld horten, Sorgen der Hoteliers und Meinungen über die Tsipras-Regierung:
Meine Freundin besitzt ein kleines Hotel in der Inselhauptstadt, hat bisher überwiegend mit Deutschen zusammen gearbeitet. Die bleiben in diesem Jahr aus, was ihr schwer zu schaffen macht. Außerdem sind anders als in den Vorjahren noch keine Reiseveranstalter gekommen, um Verträge fürs nächste Jahr abzuschließen: Sie warten ab, wie sich die Lage entwickelt. Die Hoteliers könnten aber auch noch gar keine Verträge abschließen: Sie warten ab, wie hoch die nächste Mehrwertsteuererhöhung ausfällt. Diese Steigerung müssten sie nun wirklich an ihre Gäste weitergeben, denn in den Preisen ist keine Luft nach oben mehr drin.
Dass die Menschen in der letzten Woche viel Bargeld von den Banken abgezogen haben, kann sie nur bestätigen. Sie bunkern ihr Geld jetzt zu Hause. Ob sie keine Angst vor Dieben haben, frage ich. “Ob mir Diebe oder die Banken das Geld klauen, ist doch egal”, meint sie, “bei den Dieben habe ich sogar noch die Chance, dass sie nicht alles finden.”
Außerdem hat sie bemerkt, dass viel mehr Griechen als früher jetzt in Hotels, Restaurants und Supermärkten mit Kreditkarte zahlen. Das hilft ihnen, ein paar Wochen länger Bargeld in den Taschen zu haben. Und wenn es zum Bankencrash kommen, dürfen sie dann ihre Schulden vielleicht in der neuen Drachme bezahlen, hoffen viele.
Flüchtlinge sieht auch meine Freundin häufiger auf Rhodos. Sie meint aber, sie fallen hier den Touristen weitaus weniger auf als auf kleineren Inseln. Sie unterscheidet zwischen zwei Arten von Flüchtlingen: Syrer und Iraker kämen oft von der Polizei unbemerkt an Land und hätten genug Geld dabei, sich selbständig zu ernähren. Einmal hat sich sogar eine fünfköpfige syrische Familie eine Woche lang in ihrem Hotel aufgehalten. Die anderen Flüchtlinge hätten keine andere Chance, als sich der Polizei zu stellen, da sie meist bettelarm wären. Die rhodische Bevölkerung hilft, wo sie kann. Der für den Wohnbezirk meiner Freundin zuständige Pope z.B. bringt immer wieder Flüchtlinge in den zwei Nebenräumen seiner Kirche unter, bevor sie nach Piräus weitergebracht werden. Ein Großteil übernachtet bei der Hafenpolizei.
Von Tsipras und Varoufakis, sagt sie, seien die meisten ihrer Freunde total enttäuscht. Keiner will sie gewählt haben, man betrachtet sie als Kasperle-/ Karageorgis- Figuren. Auf das Ergebnis des EU-Gipfels heute Abend warte man zwar gespannt, aber hoffnungsfrei: Auch wenn Griechenland jetzt wieder geholfen wird, ist keine Lösung der Probleme erreicht. Das Trauerspiel wird weitergehen…
P.S.: Via Facebook habe ich mit zwei deutschen Urlaubern auf Simi gechattet. Sie melden aus Simi eine Gruppe von etwa 20 Bootsflüchtlingen, die sie auf der Terrasse der Hafenpolizei gesehen haben. Die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder. Sie werden zunächst nach Rhodos gebracht…
P.P.S.: Gerade im Internet gefunden: Einen englischsprachigen griechischen Guide für Flüchtlinge. Sehr interessant!
P.P.P.S. Zwei gute Artikel über Flüchtlinge in Griechenland sind in Nr. 484 der Griechenland-Zeitung vom 17.6.2015 zu lesen. Die Ausgabe steht als kostenpflichtiger Download zur Verfügung.
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